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Kolumne „Küchenlatein“

Rigatoni alla genovese

Eine Zubereitung „alla genovese“ ist mittlerweile nur selten im Restaurant zu finden, da sie zwar nicht sonderlich schwer zu kochen, aber sehr zeitaufwendig ist. Jede Minute ist allerdings gut investiert, wie ich aus vollem Herzen (und Magen) bestätigen kann. Ich bin eigentlich nur durch Zufall auf jenes Rezept gestoßen: Bei meinem jüngsten Aufenthalt in Norditalien kaufte ich aus kulinarischer Neugierde in Padua einige Schachteln mit „Paccheri“, großen röhrenförmigen Pasta, deren Dimensionen sich in etwa zwischen Rigatoni und Canneloni befinden, und stellte mir dann irgendwann einmal die Frage, wie diese eigentlich am besten zuzubereiten wären. 

Recht schnell fiel ich bei der Suche auf die Kombination mit „Ragù alla genovese“ und habe das Rezept sofort nachgekocht: Das Resultat war (auch für meine Familie) so überzeugend, dass ich das Ganze kürzlich erneut nachgekocht habe, um es mit den Lesern zu teilen – ich bin sicher, es wird Ihnen ebenso gefallen wie uns!

Die zwei Kernelemente

Pasta alla genovese haben zwei Kernelemente – Zwiebeln und Zeit. Wir beginnen daher die Arbeit zunächst einmal mit dem Schneiden des Knoblauchs in feine Scheiben und dem Würfeln der Zwiebeln in mittelgroße Stücke (weder zu groß noch zu klein; sie lösen sich später in der Sauce auf), die wir dann allesamt in einer schweren Pfanne mit viel Olivenöl anbraten. 

Daraufhin fügen wir drei Viertel der Zwiebeln vorläufig in eine Schüssel, um Platz in der Pfanne zu schaffen, und braten mit den restlichen Zwiebeln das Hackfleisch gut durch, bis es goldbraun und ein wenig knusprig geworden ist und sich geschmacklich mit der Zwiebel- und Knoblauchmischung vermählt hat. Dabei Salz und Pfeffer nicht vergessen, auch ein Teil des Rosmarins sollte in diesem Schritt hinzugegeben werden.

Zutaten: Pasta alla genovese haben zwei Kernelemente – Zwiebeln und Zeit

Nun sollten die restlichen Zwiebeln wieder in die Pfanne gefüllt, erneut angebraten und die Mischung dann unter Zugabe der Lorbeerblätter mit etwas Rotwein abgelöscht werden (ich nahm einen apulischen Primodi; dazu später), und damit ist eigentlich das Wichtigste auch schon (fast) erledigt: Fortan sollte die Pfanne nur noch auf ganz kleiner Flamme erhitzt werden.

Warum eigentlich ein apulischer Wein für ein genuesisches Rezept? Während das Essen vor sich hinköchelt, ist ein kleiner Blick in die Geschichte angebracht. Denn trotz der Bezeichnung ist das hier vorgestellte Rezept in Ligurien unbekannt, dafür aber überaus beliebt im Süden des Landes, vor allem in Neapel und dem kampanischen Umland.

Der Todestag eines besonderen Heiligen

Vermutet wurde daher oft, dass eine ursprünglich aus Genua stammende Zubereitung irgendwann im 14. oder 15. Jahrhundert nach Neapel eingeführt wurde und hier offensichtlich große Popularität erlangte, während sie in der Heimatregion vergessen wurde; denkbar ist aber auch, dass „alla genovese“ auf den Familiennamen des Erfinders verweisen könnte, oder schließlich, dass gar nicht Genua, sondern vielmehr Genf gemeint ist, wo bis heute zwiebelreiche Kost überaus beliebt ist: Möglicherweise hätten dann die in der Renaissance überall anwesenden Schweizer Söldner das Rezept bis in den Süden Italiens gebracht.

Allerdings wäre auch auf das im 13. oder 14. Jahrhundert entstandene neapolitanische Kochbuch „Liber de Coquina“ zu verweisen, in dem ein genuesischer Hühnereintopf auf Zwiebelbasis beschrieben wird; auch dies ein möglicher Ursprung unseres Rezeptes – und somit eine der ältesten immer noch bekannten Saucen Italiens. Der früheste Codex, in dem sich das Kochbuch erhalten hat, datiert in die Zeit zwischen 1304 und 1314; die Rezepte selbst sind freilich älter – und damit reichen wir ziemlich genau in die Zeit jenes großen Abendländers, dessen 750. Todestags wir heute, am 7. März, gedenken. Aber dazu später.

Denn vor lauter küchenhistorischer Spurensuche sollten wir nicht unser Rezept vergessen: Noch sind wir nicht ganz am Ende. Zunächst sollte unsere Zwiebel-Fleisch-Mischung immer wieder unsere regelmäßige Aufmerksamkeit bekommen: Immer wieder gilt es, ein Anbrennen zu verhindern und die Pfanne wechselweise mit Rotwein und Rinderbrühe aufzuschütten, während die Zwiebeln allmählich immer weicher werden und ihre ganze Süße entfalten. 

Außerdem müssen wir uns jetzt einer kleinen, aber nicht unwichtigen Coda des Rezepts zuwenden: dem Sofritto. Dieses bietet keine große Schwierigkeit, sollte aber nicht vergessen werden. Hierzu hacken wir die Möhre sowie die Selleriestangen in sehr kleine und feine Stücke und braten sie in einer Pfanne mit ein wenig Öl an. Wichtig ist hier, dass die Mischung sich nicht etwa in ein öliges Püree verwandelt, sondern vielmehr leicht röstet und entsprechend kräftige Aromen entfaltet. 

Ist dies geschehen, sollte das Sofritto in die Zwiebelmischung eingerührt werden. Diese sollte nun idealerweise zwischen zwei und – Trommelwirbel – zehn Stunden auf kleinster Flamme köcheln, bis ihr Idealzustand erreicht ist. Verständlich, dass man die Zubereitung zumindest in frischem Zustand im Restaurant eher selten findet. Auch für den Hausgebrauch bringen wenige Köche die geradezu engelsgleiche Geduld auf, sich zehn Stunden an die Pfanne zu stellen und die Verführung der wunderbaren Gerüche standfest zu ignorieren.

Die Verkörperung des archetypischen Unmaßes unserer Zivilisation

Bei „engelsgleich“ wären wir allerdings nicht nur beim Autor dieser Zeilen, sondern auch und vor allem beim „Doctor Angelicus“, Thomas von Aquin, dessen Todestag im Jahre 1274 wir heute begehen. Der Aquinate zählt nicht nur aufgrund seiner gewaltigen, geradezu enzyklopädischen Produktion theologischer und philosophischer Grundsatzwerke zu den unbestrittenen geistigen Vätern des Abendlandes. 

Er ist auch aufgrund der schieren Proportionen seines Lebens und Werks eine typische Verkörperung jenes „faustischen“ Menschen, dessen archetypisches Unmaß im Guten wie im Schlechten wohl das Alleinstellungsmerkmal unserer Zivilisation darstellt. Nicht nur durchquerte Thomas mehrfach den europäischen Kontinent von Köln bis Süditalien zu Fuß, da er als Bettelmönch keine Verkehrsmittel benutzen durfte; auch hat man ausgerechnet, dass er jährlich 4.000 Seiten niederschreiben musste, um sein gigantisches Werk zu produzieren; kein Wunder, dass er vier Sekretäre gleichzeitig beschäftigte.

Die Zwiebelmischung sollte – Trommelwirbel – zehn Stunden auf kleinster Flamme köcheln

Aus Roccasecca im südlichen Latium stammend und somit Untertan des staufischen Königreichs Sizilien, verbrachte Thomas viele Jahre als Student und als Professor in Neapel, seiner eigentlichen Heimat – die Zubereitung „alla genovese“ wird er daher wohl gekannt und vielleicht sogar gemocht haben, und auch Pasta (laut al-Idrisi „Fäden aus Weizen“) sind zumindest auf Sizilien seit dem 12. Jahrhundert belegt und wurden überallhin exportiert, auch nach Kampanien, wo Neapel rasch zu einem Zentrum der italienischen Pastaproduktion wurde.

„Das Laster der Gaumenlust besteht nicht im Essen als solchem …“

Dies führt uns allerdings zurück zu unserem Rezept. Ich gestehe, das Warten (auch, aber nicht nur auf Druck meiner Kinder) nicht ganze zehn Stunden lang ausgehalten zu haben – nach zwei Stunden gab ich der Versuchung nach und widmete mich der letzten Etappe: den Nudeln. Paccheri, wie ich sie bei meinem ersten Versuch verwendet hatte, waren hier in Warschau ohne größeren Aufwand leider nicht aufzutreiben, daher besorgte ich mir möglichst große Rigatoni. 

Zu deren Zubereitung muss wohl kaum etwas gesagt werden, bis auf die Bitte, die Pasta möglichst „al dente“ und nicht auf deutsche Art „gut durchgekocht“ zu servieren. Nudeln auf einen angemessenen Teller drapieren, das genuesische „Ragù“ dazugeben und mit einem guten Rotwein servieren – et voilà! Ich habe zu diesem Zweck übrigens einen trockenen und vollmundigen apulischen Primodi verwendet, mit dem ich auch (unter gelegentlichem Kosten) die Sauce immer wieder etwas aufgeschüttet habe.

Übrigens ist es wohl nicht verkehrt, an dieser Stelle darauf zu verweisen, dass das Rezept am Sonntag gekocht wurde; schließlich ist gerade Fastenzeit. Auch Thomas von Aquin hätte also kaum etwas einzuwenden gehabt, wie er ohnehin dem Anliegen dieser Kolumne zweifellos sehr aufgeschlossen gegenüber gewesen wäre. Denn auch kulinarisch war Thomas ein Mann gewaltiger Dimensionen: Bekannt ist die möglicherweise apokryphe und bezeichnenderweise von Luther kolportierte Legende, demzufolge der Aquinate eine solche Leibesfülle besaß, dass man in seinen Tisch eine halbrunde Öffnung hineinschneiden musste, um ihm zu erlauben, problemlos schreiben (und essen) zu können.

„… sondern in der von der Vernunft nicht geregelten Begierde“

Es wäre aber alles andere als angebracht, dieses (umstrittene) biographische Detail gegen sein Werk auszuspielen, bestand einer der Kernpunkte seiner Theologie doch gerade in der Ablehnung jener im augustinischen Denken stark präsenten Tendenz zur Verachtung der Materie und somit der Schöpfung zugunsten von Seele und Geist, die als das „Eigentliche“ des Menschen gelten sollten: Thomas hingegen betonte, dass Gott den Menschen in seiner Gesamtheit geschaffen habe und, wenn Mensch und Natur auch durch die Ursünde gefallen sind, beide doch eine Seinseinheit darstellten, deren konstruktive Zusammenarbeit unerlässlich beim Streben nach Gott sei. Und so wollen wir denn die heutige Kolumne mit einem kleinen Zitat aus der „Summa theologiae“ (Teil II-II, Frage 148) beschließen, die den Genuss der „Rigatoni alla genovese“ in den rechten Kontext rücken soll:

„Das Laster der Gaumenlust besteht nicht im Essen als solchem, sondern in der von der Vernunft nicht geregelten Begierde. Wenn nun jemand hinsichtlich der Menge der Speise das Maß überschreitet, nicht aus Begierde nach der Speise, sondern weil er meint, das sei für ihn notwendig, dann gehört das nicht zur Gaumenlust, sondern zu einer gewissen Unerfahrenheit. Nur das gehört zur Gaumenlust, wenn jemand aus Begierde nach genußreicher Speise wissentlich beim Essen das Maß überschreitet.“

Zutaten (für 6 Personen):

  • 600 g Rinderhackfleisch (alternativ auch sehr fein geschnittene Stücke)
  • 10 Zwiebeln
  • 5 Knoblauchzehen
  • 1 große Möhre
  • 2 Selleriestangen
  • 1 kg breite Röhrennudeln (idealerweise Pacchheri oder Rigatoni)
  • 3 Lorbeerblätter
  • Rosmarin
  • Olivenöl
  • Rinderbrühe
  • Trockener Rotwein

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Kommentare

Kommentar
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Klaus Heck
Vor 7 Monate 2 Wochen

Sehr lang (länger als 2 Stunden) geröstete Zwiebeln habe ich in Kenia kennen gelernt. Sie erinnern geschmacklich kaum noch an Zwiebeln, es war ein mir neuer Geschmack; ich war begeistert.

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Karl
Vor 8 Monate

Probier morgen aus! :-*

P.S. In der Rezeptliste ist von Rosmarin die Rede. Aber abgebildet oben sieht es eher nach Thymian aus. ;-)

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Matthias
Vor 8 Monate 1 Woche

Herrlich, mir läuft das Wasser im Mund zusammen ;-)

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Klaus Heck
Vor 7 Monate 2 Wochen

Sehr lang (länger als 2 Stunden) geröstete Zwiebeln habe ich in Kenia kennen gelernt. Sie erinnern geschmacklich kaum noch an Zwiebeln, es war ein mir neuer Geschmack; ich war begeistert.

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Karl
Vor 8 Monate

Probier morgen aus! :-*

P.S. In der Rezeptliste ist von Rosmarin die Rede. Aber abgebildet oben sieht es eher nach Thymian aus. ;-)

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Matthias
Vor 8 Monate 1 Woche

Herrlich, mir läuft das Wasser im Mund zusammen ;-)