„Ich bin in meinem tiefen Kern Anti-Establishment“
Wenn der Name Julian Reichelt fällt, ist Polarisierung angesagt. Fast 20 Jahre lang arbeitete er bei der Bild-Zeitung, deren Chefredakteur er von Februar 2017 bis Oktober 2021 war. Während sein Vorgänger in dieser Position eher blass wirkte, sorgte das Blatt unter Reichelt wieder für Wirbel und ging mit der Bundesregierung hart ins Gericht. In der Corona-Pandemie war es eines der wenigen Leitmedien, das die Einschränkungen teils stark kritisiert hatte.
Doch im März vergangenen Jahres gerieten Reichelt und Bild plötzlich selbst in die Schlagzeilen: Mehrere Mitarbeiterinnen warfen dem Chefredakteur Machtmissbrauch im Zusammenhang mit sexuellen Beziehungen vor. Nachdem der von Mathias Döpfner geführte Springer-Konzern anfangs noch hinter Reichelt stand, gab das Medienhaus Mitte Oktober 2021 die Trennung von dem langgedienten Journalisten bekannt. Im Sommer startete Reichelt dann sein eigenes Medium und betreibt unter anderem den YouTube-Kanal „Achtung, Reichelt!“.
In einer ehemaligen Fabrikhalle in Berlin-Kreuzberg sitzt Reichelt an einem sonnigen Herbsttag in einem der Büroräume der Produktionsfirma Rome Medien GmbH, dessen Geschäftsführer er nun ist. Offenes Hemd, die Füße auf dem Tisch. Mit Corrigenda spricht er über die deutsche Politik, die Medienlandschaft und über sich und seine Pläne.
Warum haben Sie sich am Beginn Ihrer Karriere für Bild entschieden und nicht für eine andere Zeitung?
Ich komme aus einer Bild-Familie. Meine Eltern haben sich per Bild kennengelernt. Während Bild in vielen Familien als etwas Schreckliches gilt, war es in unserer Familie immer das größte. Bild-Chefredakteure waren bei uns nicht Feindbilder, sondern journalistische Helden – Peter Boenisch, Günter Prinz und so weiter. Und mich haben immer diese zwei Dinge interessiert: Emotionen und Reichweite. Die haben mich immer fasziniert, in maximal emotionaler Form so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Und deswegen wollte ich immer zu Bild. Ich wollte immer Reporter, ich wollte immer Chefreporter werden von Bild. Und ich wollte immer Chefredakteur werden.
Was Sie auch geschafft haben: Sie waren als Kriegsreporter im Einsatz und später Chefredakteur. Wenn man sich Ihre Kommentare bei Bild und jetzt Ihre Sendungen anschaut, kann man sagen, Sie sind das, was man in Deutschland einen Liberal-Konservativen nennt. Trifft das zu?
Da würde ich Ihnen vollkommen recht geben. Ich glaube, das ist im deutschen politischen Spektrum das, was es am besten beschreibt.
Und wie kam es dazu? Gibt es entsprechende Schlüsselerlebnisse?
Ganz kurz: Es gibt zwei politische Traditionen, die mir sehr zusagen. Das eine ist Reagans Compassionate conservatism, und das andere ist die CSU von Franz Josef Strauß. Das sind eigentlich die beiden politischen Phänomene, die die Grundlage meiner eigenen politischen Orientierung und Sozialisierung sind.
Sind diese beiden Personen, der frühere US-Präsident Ronald Reagan und der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß, Ihre Vorbilder?
Deren inhaltliche Linie auf jeden Fall. Und bei Reagan? Ich sag mal: Vorbild, was die Rhetorik angeht, die unglaubliche, unbestechliche Klarheit der Sprache im Umgang mit dem, was man für richtig erkennt und dem, was man für falsch erkennt. Ja! Auf der einen Seite die Sowjets als das zu benennen, was sie bis heute sind, ein Evil Empire, und auf der anderen Seite so klar und optimistisch – „It's morning again in America“ – das Gute zu benennen und zu beschreiben.
„Im Kanzleramt sitzen seit 25 Jahren Menschen ohne Kinder“
Die Bild-Zeitung war während der Corona-Krise eines der wenigen großen Leitmedien, die in Sachen Maßnahmen und Einschränkungen Contra gegeben haben, insbesondere auch was den Umgang mit Kindern und die Schulen betrifft. Sie sind Vater. Hilft Ihnen die Vaterschaft, ein besserer Journalist zu sein?
Das hilft dabei, die Welt im Wesentlichen zu erkennen und zu erkennen, worum es in unserem Leben wirklich geht. Und ich glaube, Journalismus, gerade jener, der die Politik beobachtet, sollte das Leben kennen. Wer keine Kinder hat, kennt am Ende nicht den wesentlichen Bestandteil des Lebens. Und in der Krise ist, glaube ich, eine der dramatischsten Schwächen gewesen, dass die Corona-Politik von Menschen ohne Kinder gemacht wurde. Das hat man jeden Tag gespürt.
Es ist einer der dramatischsten Missstände in unserem Land, dass im Kanzleramt seit nunmehr einer Generation, also seit 25 Jahren, Menschen ohne Kinder sitzen; die nicht wissen, was es bedeutet, für etwas zu arbeiten, die nicht wissen können, was es bedeutet, wenn etwas über einen selbst hinausgeht und einen selber überdauert. Das kann man nicht nachempfinden, das muss man spüren. Und jegliche Politik sollte sich immer an dem ausrichten, was über einen selbst hinaus bleibt. Und das kann man. Man hat nur eine Chance, das richtig zu beurteilen, wenn man das im eigenen Leben spürt. Und den Blick darauf zu haben, ohne selber Kinder zu haben, ist, glaube ich, schwierig.
Zur Person Julian Reichelt
Julian Reichelt kam 1980 in Hamburg als Sohn zweier Bild-Journalisten zur Welt. Nach dem Abitur absolvierte er ein Volontariat bei dem Blatt sowie die Journalistenausbildung der Axel-Springer Akademie. Anschließend arbeitete er als Kriegsreporter und wurde 2007 Chefreporter. 2014 übernahm er den Posten des Online-Chefredakteurs, ehe er 2017 zum Chefredakteur ernannt wurde. Im März 2021 berichtete der Spiegel über interne Untersuchungen im Zusammenhang mit Machtmissbrauch sowie sexuellen Beziehungen mit jungen Mitarbeitern. Nachdem sich der Axel-Springer-Konzern Mitte Oktober 2021 von Reichelt trennte, gründete er die Rome Medien GmbH mit Sitz in Berlin. Er veröffentlicht mehrmals die Woche YouTube-Videos und betreibt das Portal pleiteticker.de. Reichelt veröffentlichte zwei Bücher über seine Zeit als Kriegsreporter und ist Vater dreier Kinder.
Wieso haben Sie sich entschieden, etwas Eigenes aufzubauen und sind nicht zu einem anderen TV-Sender oder anderen Medienhaus gegangen?
Also nach dem, was mir passiert ist, war die Angebotslage dünn. Das muss ich einmal ehrlich sagen. Das war ja von denen auch so gewollt.
Und wenn Sie sechs Monate gewartet hätten?
Ich weiß es nicht. Ich wollte nicht sechs Monate warten. Das, was ich erlebt habe, war ein Vernichtungsfeldzug, und der hinterlässt erst mal sehr viel Trümmer und isoliert einen sehr.
Dazu kommen wir gleich.
Ich liebe einfach das, was ich mache. All das, was Politik an Propaganda, Narrativ und Bullshit und Spin aufbaut, zu durchschneiden und entlang der Dinge, die man selber als Mensch und als Journalist im Alltag beobachtet, zu messen und zu hinterfragen. Ich glaube, ich bin in meinem tiefen Kern einfach Anti-Establishment. Ich glaube, das sollte Journalismus auch sein. Kein Mensch braucht Establishment-Journalismus. Und ich hatte das Gefühl, dass das, was ich liebe oder dass es für das, was ich liebe, einen großen Markt gibt. Das habe ich schon bei Bild gespürt.
Und ich habe auch nach dem Aus bei Bild gemerkt, dass das sehr viele Menschen sehr traurig und auch wütend gemacht hat und dass diese Menschen weiter daran interessiert waren, von mir zu hören. Das habe ich dann mit einigen Freunden und Kollegen, denen ich dafür mein Leben lang dankbar sein werde, im Format „Achtung, Reichelt!“ gemacht. Und das auch mit ganz ansehnlichen Zahlen.
„Der Großteil des Journalismus nimmt seine Aufgabe nicht wahr“
Sie haben angekündigt, die unwokeste Redaktion Deutschlands aufzubauen. Was ist woke?
Woke ist in allererster Linie eine totalitäre Ideologie, die jegliches menschliches Verhalten an den eigenen Moralvorstellungen misst. Oder nur die eigenen politischen Vorstellungen duldet und alles andere austilgen will. Und das Ganze immer aus einer behaupteten Opferrolle heraus tut, obwohl es ein klarer Täter-Kult ist. Ein demokratiefeindlicher, totalitärer Täter-Kult. Eine Ideologie, die wie alle brandgefährlichen Ideologien in unserer Geschichte, aber auch anderswo, den Menschen, die in ihrem Leben keine Aufgabe, keinen Sinn verspüren, verspricht, dass sie durch die Befolgung einfacher idiotischer Regeln einer einfachen neuen Sprache, sich auf einmal moralisch über andere Menschen erheben und über deren Leben bestimmen dürfen – und sogar bisher in massivst sprachlicher Form, aber ich finde, man sieht da auch Auswüchse, die in die physische Form gehen, Gewalt anwenden dürfen – und sich dabei immer noch moralisch überlegen fühlen dürfen. Und es gibt kein schöneres Versprechen für Menschen – das hat die Geschichte der Welt leider gezeigt –, es gibt für Menschen offenbar schrecklicherweise kein attraktiveres Versprechen, als aus moralischer Überlegenheit heraus Gewalt gegen andere anwenden zu dürfen. Und das ist woke.
Kennen Sie die Serie „The Loudest Voice“? Es geht um die Gründung von Fox News. Roger Ailes musste CNBC, dem er zu großer Reichweite verhalf, verlassen und gründete im Auftrag von Rupert Murdoch Fox News, einen der populärsten US-Nachrichtensender. Sie mussten Bild verlassen. Werden Sie jetzt ein Konkurrenz-Medium aufbauen?
Nein, über diese Parallele habe ich noch nie nachgedacht. Die würde ich mir auch nicht zu eigen machen, die entspricht mir auch nicht.
Zwischen Ihnen und Roger Ailes oder zwischen „Achtung, Reichelt!“ und Bild?
Zwischen Ailes und mir. Was ich möchte, ist, die Geschichten, die Menschen in ihrem Alltag am meisten bewegen und betreffen, emotional so zu erzählen, dass Menschen sich gehört fühlen. Ich glaube, das ist wichtig in Demokratien, weil Menschen sich sonst – Überraschung – radikalisieren. Und ich glaube, was wir im Medienmarkt sehen, ist, dass die emotionalsten Themen entweder am wenigsten berichtet werden oder am verfälschtesten und ideologisiertesten berichtet werden. Und dem würde ich gerne etwas entgegensetzen.
Ich glaube, dass es dafür einen riesigen Markt gibt. Ich habe einfach jeden Tag wahnsinnige Freude daran. Das ist das, was ich will. Wir alle hier haben das Ziel, eine große reichweitenstarke, emotionale Medienmarke aufzubauen. Aber das richtet sich nicht gegen Bild. Wir glauben, dass es in einem Land mit 80 Millionen Menschen genug Markt und Menschen für zwei nationale, emotionale Medienmarken gibt.
In Ihren Videos sagen Sie oft, „Achtung, Reichelt!“ sei der „härteste Gegner von Bigotterie, Scheinheiligkeit, Heuchelei in der Politik“. Ist das nicht Aufgabe eines jeden Journalisten?
Ja, und genau das ist die Marktlücke. Dass der Großteil des Journalismus diese Aufgabe, die das ganze Wesen des Journalismus ist, nicht mehr wahrnimmt, sondern sich zum Teil von Spin, Narrativen, Scheinheiligkeit und so weiter macht. Das gesamte Berliner Hauptstadtpressekorps fliegt mit dem Kanzler und dem Vizekanzler nach Kanada, und alle sitzen ohne Masken im Flugzeug. Und als es dann auffliegt – übrigens durch unsere Redaktion –, sagen die Journalisten nicht etwa „Ja gut, das war jetzt vielleicht nicht so perfekt“, sondern sie machen sich zum Teil dieses elitären Establishments und verteidigen, warum für den Bundeskanzler nicht die Regeln gelten, die er allen anderen Menschen im Land aufzwingt. Das ist der Zustand von Journalismus.
Das klingt nach großen Zielen. Wie finanzieren Sie das alles?
Über die Finanzierung und alles, was dazu gehört, sprechen wir derzeit noch nicht. Das wird aber kommen. Daran ist nichts heimlich oder geheim. Es ist alles sehr vertraulich, und wir werden dazu zu gegebenem Zeitpunkt kommunizieren.
„Wenn man den Leuten Grütze und Unwahrheiten serviert, werden sie sich abwenden“
Sie haben nun viel Kritik geäußert über die Medien in Deutschland. Was läuft gut bei der vierten Gewalt?
Ich mochte den Begriff „Vierte Gewalt“ noch nie, weil im Grundgesetz von drei Gewalten die Rede ist. Ich denke, man sollte nicht dem Grundgesetz einfach etwas hinzudichten, vor allem keine neue Gewalt. Erstens: Menschen mögen keine Gewalt, auch nicht die vierte Gewalt. Menschen haben gar keine Gewalt. Deswegen glaube ich, war das aus Produktsicht nie ein dienlicher Begriff. Zweitens: Wir sollten als Journalisten auch nicht auftreten wie eine Gewalt. Wir sollten einfach losgehen und hören, was Menschen passiert, was Menschen zu sagen haben und was im Land so geschieht und nicht auftreten wie eine Gewalt. Dieser Begriff hat aber vor allem dazu geführt, dass Journalisten immer geglaubt haben – egal welchen Unsinn wir erzählen und egal wie sehr wir die Wahrheit verfälschen, verdrehen, in absurdeste Formulierungen quetschen wie in der Flüchtlingskrise oder wie in der Corona-Krise –, sie hätten eine grundsätzliche Daseinsberechtigung.
Also quasi ein Verfassungsrang, von oben herab.
Genau, doch unsere Daseinsberechtigung besteht eigentlich ausschließlich darin, dass Menschen das, was wir zu berichten haben, hören, lesen, sehen wollen.
Freiwillig.
Ja, auch freiwillig dafür bezahlen. Sie sollten nicht gezwungen werden, für ihre eigene Umerziehung zu bezahlen, wie es im öffentlich-rechtlichen System der Fall ist. Dieser Begriff „Vierte Gewalt“ hat dazu geführt, dass das Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – der absurd ist und abgeschafft gehört – sich ausgedehnt hat auf den privaten Journalismus. Nach dem Motto: Die Leute müssen uns halt bezahlen, wir sind ja die Vierte Gewalt. Doch nein, die Leute können das frei entscheiden. Und wenn man ihnen Grütze und Unwahrheiten serviert, dann werden sie sich abwenden. Und das ist das, was derzeit passiert. Bei vielen, vielen Medien vollkommen zu Recht.
Nehmen wir an, eine öffentlich-rechtliche Landesrundfunkanstalt böte Ihnen jetzt eine Stelle als Intendant an. Würden Sie zusagen?
Nein, ich halte dieses System für falsch.
Aber es ist doch demokratierelevant, heißt es.
Das war es auf jeden Fall mal, es hatte seine Berechtigung. Die Idee war, den Deutschen, die von der Propaganda der Nationalsozialisten geprägt waren, einen Mechanismus zu schenken, in dem es freie Medien gibt, die sich aber nicht mehr für Propaganda missbrauchen lassen. Das war die brillante Idee von Engländern und Amerikanern.
Und wieso soll es das heute nicht mehr brauchen?
Weil dieses Land demokratiefähig genug ist und die Demokratie in diesem Land stark und gefestigt genug ist, um selbst zu entscheiden, für welche Medien jemand Geld ausgeben soll, und den Markt entscheiden zu lassen, welche Medien es geben sollte und welche nicht.
Sie waren in den vergangenen zwei Jahren selbst Objekt der Berichterstattung, sprechen von einer Kampagne und davon, dass Ihr Rausschmiss bei der Bild politisch motiviert gewesen sei.
Das sehe ich bis heute so.
Wieso war das politisch motiviert?
Sie können sich anschauen, von wem die Kampagne stammt. Das ist ja alles ein Spiel. In allererster Linie von Benjamin von Stuckrad-Barre, der einer der Drahtzieher dieser Kampagne war.
„Die Kampagne gegen mich war absolut geisteskrank und psychopathisch“
Von ihm wurden SMS an den Springer-Geschäftsführer Mathias Döpfner publik. Sind die beiden nicht befreundet?
Das kann ich nicht so richtig beurteilen. Aber bei den Akteuren dieser Kampagne gab es zwei Motivationen. Die eine war privater Natur und absolut geisteskrank und psychopathisch, und die andere war massivst politisch. Und der Drahtzieher dahinter war Benjamin von Stuckrad-Barre, der meinen Rauswurf wollte, der das ja mehrfach auch vorher versucht hatte, mit ähnlich gelagerten Kampagnen auf Social-Media.
Und die gingen gegen Sie?
Das ging komplett persönlich gegen mich.
Würden Sie sagen, Sie haben Fehler begangen?
Ich glaube durchaus, dass ich Fehler gemacht habe, die mir gegenüber meinem engsten Umfeld, meinen Freunden und den Menschen, die mich lieben, leidtun. Aber kein einziger Fehler davon hat mit irgendetwas von dem zu tun, was man mir lügenhafterweise vorgeworfen hat.
Ein Thema, worauf Sie beruflich vermutlich noch nie angesprochen wurden: Abtreibungen. Sie waren Chef des größten privaten Mediums Deutschlands und hatten mit vielen Politikern und Journalisten zu tun. Warum ist Abtreibung ein solches Tabuthema, wenn es zum Beispiel um die demographische Krise geht, wenn davon die Rede ist, es fehlten Fachkräfte?
Ich glaube grundsätzlich nicht, dass man das Thema Abtreibung und Demographiepolitik verknüpfen sollte. Das ist genauso falsch wie die Ein-Kind-Politik in China.
Die 2021 durch eine Drei-Kind-Politik ersetzt wurde, weil sich China mit einer massiven Überalterung konfrontiert sieht.
Ja, genau. Aber der Staat sollte keine X-Kind-Politik machen, um gewisse ökonomische Ziele zu erreichen. Kinder, also Kinder bekommen, Kinder haben, Kinder großziehen, sich für Kinder zu entscheiden oder keine Kinder zu bekommen, gehört zum absolut intimsten Lebensbereich, den der Staat nicht politisch regulieren soll. Ich bin der absoluten Überzeugung, dass der Staat die Familie – Vater, Mutter und Kinder – steuerlich begünstigen sollte, weil es eben das Fundament für das Fortbestehen unserer Gesellschaft ist. Aber er sollte sich nicht einmischen. Den Fortbestand unserer Zivilisation sollte der Staat als Ziel haben. Das ist aber auch das einzige Ziel, das er haben sollte.
Wir wissen aus der Beratung, dass viele Frauen im Schwangerschaftskonflikt gerne das Kind bekommen würden, sich aber in einer solchen Konfliktsituation sehen, ohne Ausweg, ohne Hilfe, dass sie sich schließlich für die Abtreibung entscheiden. Warum wird das Thema Hilfe für Schwangere in Not nicht ausführlicher diskutiert? Stattdessen werden Extrembeispiele ins Rampenlicht gezogen und die Debatte in ein Pro-Life- und ein Pro-Choice-Lager gespalten.
Ich glaube, dass Männer nicht ausreichend qualifiziert sind, über dieses Thema umfassend zu sprechen und zu urteilen, weil es eben in absoluter Konsequenz ausschließlich Frauen betrifft. Man kann sich als Mann nicht anmaßen, darüber abschließend zu urteilen.
„Warum lässt man dem gezeugten Leben nicht mehr Aufmerksamkeit zukommen?“
Der Mann ist doch derjenige, der zeugt und wird später möglicherweise Vater.
Was mich bei dem Thema Recht auf Leben und wann beginnt Leben, beschäftigt, ist die Frage: Ab wann ist Leben absolut schützenswert? Dadurch, dass das Thema so ein teilweise kunterbuntes Zeitgeistphänomen mit Tanzvideos von Nachwuchspolitikern geworden ist, wird ihm nicht mehr die Ernsthaftigkeit zugemessen, die es bekommen sollte. Es gibt ein bemerkenswertes Urteil vom Bundesverfassungsgericht zur – vereinfacht gesagt – Klimafrage: Das noch nicht mal geplante, geschweige denn gezeugte menschliche Leben hat vergleichbare, nahezu identische Rechte mit dem bestehenden Leben. Das heißt, man darf – das ist jetzt Rechtsprechung – heute Menschen etwas verbieten, weil es das noch nicht gezeugten Leben der Zukunft in Grundrechten einschränken würde. Und da frage ich mich, warum man dem gezeugten Leben in den ersten Wochen nicht zumindest wenn schon nicht dieselben Rechte, zumindest mehr Aufmerksamkeit zukommen lässt? Es gibt übrigens einen großartigen Reagan-Satz dazu: „Ich habe festgestellt, dass alle, die für Abtreibung sind, bereits geboren wurden.“
Die jüngsten Abtreibungszahlen sind stark nach oben geschnellt. Es ist zu vermuten, dass der Krieg in Europa, die wirtschaftliche Krise, der Blick auf die Zukunft, dass dies alles mit den gestiegenen Abtreibungszahlen zusammenhängt. Könnten Sie sich vorstellen, darüber in Ihren Sendungen zu berichten?
Das ist ein spannendes Thema. Und die Frage, die sich da stellt: Sind Zukunftsängste ein legitimer Abtreibungsgrund? Da täte ich mich sehr schwer, das mit Ja zu beantworten. Ich möchte nicht in jede individuelle Lebenssituation in irgendeiner Weise hineinargumentieren, schon gar nicht in die von Frauen. Aber ich habe das Gefühl, es gibt durchaus legitime Gründe für eine Abtreibung. Aber meine Sicht aufs Leben ist eigentlich so, dass die Furcht vor einer Not, die kommen könnte und größer werden könnte, zu hypothetisch und theoretisch ist, um sich dann gegen Leben zu entscheiden.
Sie hatten als Bild-Chef bekanntermaßen gute Kontakte zur CDU. Was führte zur Entkernung der Partei vor allem unter Angela Merkel?
Merkel, die die CDU 16 Jahre lang dominiert hat, wollte eine linke CDU.
Warum, dann hätte sie ja zur SPD gehen können?
Ich glaube, weil sie selbst eine Linke ist. Schröder hätte übrigens auch zur CDU gehen können.
Sie haben in Ihren Sendungen vor allem das Versagen von Grünen und SPD im Fokus, dennoch liegen die in Umfragen zusammen bei über 40 Prozent. Warum ist das so?
Also, erstens die Leute, die noch die Grünen wählen, kann ich nicht verstehen. Ich nehme an, das sind einfach Anhänger einer Ideologie und deswegen nicht allzu objektiv in ihren politischen Entscheidungen. Zweitens: Alle drei Ampelparteien, SPD, FDP und Grüne, haben etwa bei der Niedersachsenwahl gegenüber der Bundestagswahl in Niedersachsen massiv Stimmen verloren. Die Ampelparteien haben nur ein Jahr nach der Bundestagswahl in Niedersachsen 750.000 Leute verloren. Die FDP hat sich sogar gedrittelt.
Sie haben als Bild-Chefredakteur entschieden, keine Interviews mit der AfD zu machen. Wie bewerten Sie diese Entscheidung heute?
Zu dieser Entscheidung stehe ich voll und ganz. Solange die Linkspartei die DDR nicht für einen Unrechtsstaat hält und die AfD den Holocaust für einen Fliegenschiss der Geschichte, sind das für mich keine Gesprächspartner.
Könnten Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen?
Ich würde lieber im Journalismus bleiben.
Aber wenn im Land wirklich Not am Mann wäre?
Ich würde lieber im Journalismus bleiben.