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Marsch fürs Läbe in Zürich

„Wir sind für das Leben, ganz einfach“

Der Marktplatz im Zürcher Ortsteil Oerlikon ist abgeriegelt. Hohe Gitterzäune hindern Besucher, ihn zu betreten. Am Himmel kreist ein Polizeihubschrauber. Am einzigen Eingang beäugen Polizei und Ordner jeden kritisch, der eine Tasche, einen Rucksack oder ein Banner mit sich trägt. „Das ist hier wie in einer Festung, die Gut und Böse voneinander trennt“, sagt ein junger Mann, weißes Hemd, um die dreißig, der sich mit einer Gruppe Gleichaltriger unterhält.

Die Guten, das ist für ihn klar, sind die Teilnehmer des Marsch fürs Läbe, der an diesem Samstag zum 13. Mal stattfindet. Aber wo sind die Bösen? „Die siehst du dann schon, wenn es losgeht.“ Das Wetter ist gut, kaum Wolken, praller Sonnenschein, 25 Grad. Das Motto der diesjährigen Kundgebung der Lebensschützer lautet: „Sei ihre Stimme!“ Mit ihr sind die Stimmen der ungeborenen Kinder gemeint, von denen in der Schweiz jedes Jahr mehr als 13.000 abgetrieben werden.

In der Nähe knallen immer wieder Böller, vereinzelt schrillen Trillerpfeifen. Sind das die Fanfaren, die auf die bevorstehenden linksextremen Krawalle hindeuten, wie es sie vor Jahren schon gab, als Gegner der Lebensschützer Barrikaden bauten und anzündeten und es Verletzte gab? Die Polizei will das in diesem Jahr mit einem großen Aufgebot verhindern.

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„Zeichen gegen die Institutionalität der Abtreibung“

Schon vor dem offiziellen Veranstaltungsbeginn wird jeder sofort festgesetzt, der irgendwie linksradikal aussieht – grelle Haare, schlecht gekleidet, politisch einschlägige Motive – oder sich entsprechend verhält. Auf der anderen Seite der Gitter, innerhalb der „Festung“, ist die Stimmung gelassen. Kinderreiche Familien, Jugendliche, Mittelalte, Senioren – die Teilnehmer des Marsches bilden den Querschnitt der Gesellschaft ab.

George, ein indischstämmiger Mann, steht mit seiner Frau vor einem überdimensionalen Kinderwagen. „Wir haben zwei Kinder und wir erwarten noch weitere“, sagt der Katholik und zeigt in den Kinderwagen. Warum er heute hier sei? „Wir sind für das Leben, ganz einfach.“ Zwei Teenager in zerrissenen Jeans und T-Shirts schlendern über den Platz. „Wir möchten ein Zeichen für das Leben setzen.“ Warum es einen solchen Hass auf sie gibt, dass die Polizei mit Hubschrauber und in schwerer Montur auflaufen muss, können sie nicht nachvollziehen.

Ein überdimensionaler Kinderwagen symbolisiert: Kinder sind hier willkommen

Alexander, Mitte 30, sieht das anders. Er kehre gerade aus der Ukraine zurück, zeigt auf dem Smartphone stolz seine Fotos. „Hier, alles zerstört, furchtbar.“ Er habe sich selbst ein Bild machen wollen, erzählt er. Für ihn ist klar, warum hier in Zürich heute zwei Welten aufeinanderprallen. „Die Schweiz ist woke geworden. Die haben keine anderen Themen mehr außer Gendern, dabei haben wir ganz andere Probleme.“ Er vertrete 70 Prozent der Ansichten, für die der Marsch fürs Läbe stehe, aus der Kirche sei er ausgetreten. „Ich bin aber für eine christliche Leitkultur.“

Endlich geht es los. Auf der Bühne gibt die blinde Musikerin Bernarda Brunović, 2018 Halbfinalistin von „The Voice of Germany“, ihre christlich geprägten Poplieder zum Besten. Beatrice Gall, Präsidentin des veranstaltenden Vereins, führt durch die Kundgebung. Das Programm ist vielseitig: Geistliche Einordnungen, persönliche Erfahrungen, wissenschaftliche Befunde. Auf der großen Leinwand wird auch kurz das Geschehen in Berlin verfolgt, wo wie in Köln an diesem Tag ähnliche Veranstaltungen stattfinden.

Marian Eleganti, emeritierter Weihbischof im Bistum Chur, ruft die Teilnehmer auf, ein „Zeichen gegen die Institutionalität der Abtreibung“ zu setzen. Er erzählt aus seiner Kindheit, von seiner Mutter. Damals seien Kinder noch als Geschenke Gottes begriffen worden, die es zu schätzen gelte, egal ob sie ungelegen gekommen sein mögen. Deshalb sei „die Fristenlösung eben keine Lösung“.

In der Schweiz ist, ähnlich wie in Deutschland, Abtreibung eigentlich nicht erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen – Einhalten der Zwölf-Wochen-Frist seit der letzten Regelblutung oder Vorliegen einer medizinischen Notwendigkeit – bleibt sie jedoch straflos.

„Lebensschutz bedeutet, das Leben des Kindes und der Frau zu schützen“

Susanne Kummer vom Wiener Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) stellt dem Publikum die Ergebnisse der vom IMABE im Sommer publizierten Studie „Schwangerschaftsabbruch und psychische Folgen. Eine qualitative Studienanalyse“ vor, an der die Ethikerin mitgewirkt hatte. Die Analyse habe ergeben, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Abtreibung einen positiven Aspekt auf die Psyche der betroffenen Frauen habe. Als Beispiel erwähnt sie die vielzitierte „Turnaway-Studie“, einer Langzeituntersuchung, der zufolge Frauen fünf Jahre nach einer Abtreibung ihre Entscheidung als überwiegend positiv bewerten.

Doch die Studie weise eklatante Mängel auf, klärt Kummer auf. So seien ohne Angabe von Kriterien von rund 7.500 Schwangeren nur etwa 3.000 zugelassen worden. Von ihnen hätten nur knapp über 550 die Studie abgeschlossen, adäquate Vergleichsgruppen habe es auch nicht gegeben. Kurz: wissenschaftliche Qualität sieht anders aus. Die Ethikerin verweist noch auf ein interessantes Detail der „Turnaway-Studie“: 96 Prozent der schwangeren Frauen, die zu der Untersuchung nicht zugelassen wurden, weil sie die Frist der Schwangerschaftswochen überschritten hatten, seien fünf Jahre nach der Geburt froh darüber, ihr Kind nicht abgetrieben zu haben. Kummer betont: „Lebensschutz bedeutet, das Leben des Kindes und der Frau zu schützen.“ Die Menge goutiert den prägnanten Satz mit Applaus.

„Lebensschutz müsste Thema Nummer eins sein für jeden, der an Gott glaubt“

Auch mehrere Geistliche sind unter den Teilnehmern. Ein Priester aus dem Urkanton Schwyz, der im Minutentakt begrüßt oder nachgefragt wird, zeigt sich enttäuscht über seine Kirche. „Der Glaube verdunstet.“ Und das nicht nur bei den Laien. „Der Lebensschutz müsste eigentlich das Thema Nummer eins sein für jeden, der an Gott glaubt.“

Auf der Bühne erzählt eine Hebamme über die Ausgrenzung, die sie erfahren habe, weil sie sich für das Leben einsetzt. Eine Frau schildert die Erfahrung ihrer Freundin, die in der Schulzeit schwanger geworden und von ihrem Partner heftig unter Druck gesetzt wurde, das Kind abtreiben zu lassen – ein typisches Beispiel, wie Schwangere in Not versetzt werden. Diese Geschichte ging immerhin mit einem Happy End aus.

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Nach etwas mehr als einer Stunde startet der Marsch mit rund 1.500 Teilnehmern. Es geht einmal quer durch den Randbezirk Oerlikon. Vorne dran vor allem junge Männer und Frauen. Und ein gelbes Banner mit der Aufschrift: „Seid ihre Stimme! Keine potenziellen Menschen, sondern Menschen mit Potenzial.“ Daneben eine Zeichnung mit Kindern unterschiedlicher Hautfarbe. Überhaupt fällt auf: Die Teilnehmer des Marsches sind „diverser“ als die paar Dutzend linksradikale Gegendemonstranten.

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„Haut ab, ihr Kinderficker, scheiß Christen“, brüllt ein Mann mit Schiebermütze gleich zu Beginn von der Seite rein. Dann die üblichen Sprechchöre: „Eure Kinder werden so wie wir, eure Kinder werden alle queer“ oder „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat.“

Die Polizei entfernt die Störer sogleich. Die Lebensschützer ziehen ohne Unterbrechungen weiter. „We are: Pro Life!“ und „Wir sind fürs Läbe!“ skandieren sie. Als der Zug nach rund zwei Kilometern wieder auf dem Marktplatz ankommt, warten einige Linksradikale schon auf dessen Teilnehmer, brüllen mit meist hassverzerrten Gesichtern ihre immergleichen Parolen. Auf die Frage, warum denn ihr Protest so schwach ausgefallen sei, antworten sie nur lapidar: „Kein Kommentar“ oder „Ich rede nicht mit der Presse“.

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„Die Fundis werden durchs Quartier gejagt“ – wirklich?

Im Vorfeld hatten Linksextreme zu breitem Protest aufgerufen, weshalb auch die Polizei in Alarmbereitschaft war. Eine linksradikale Gruppe schreibt während des Marsches auf Instagram: „Die Fundis werden durchs Quartier gejagt; solidarische Menschen aus dem Quartier jubeln den Aktivist*innen zu!“ Der Wahrheit entspricht das freilich nicht, das war wohl nichts. Die Polizei Zürich wird kurze Zeit nach der Kundgebung mitteilen: Störaktionen verhindert, rund 100 Personen kontrolliert und weggewiesen, zwei auf die Polizeiwache mitgenommen.

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Vielleicht kommt es einmal so weit, dass die Lebensschützer nicht mehr vor ihren Gegner geschützt werden müssen, keine Festung mehr nötig ist. Sie einfach nur für das Leben und für das Gute demonstrieren können.

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Kommentare

Kommentar
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Franziska Selb…
Vor 1 Jahr 2 Monate

Super geschrieben

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Tabitha
Vor 1 Jahr 2 Monate

Toller sachlicher Beitrag mit Augenzwinkern. Das ist guter Journalismus. Weiter so!

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Tabitha
Vor 1 Jahr 2 Monate

Toller sachlicher Beitrag mit Augenzwinkern. Das ist guter Journalismus. Weiter so!

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Franziska Selb…
Vor 1 Jahr 2 Monate

Super geschrieben