Die neue Herrschaft der Gefühle
Schon vor einigen Jahren war davon zu hören, wie an US-amerikanischen Hochschulen eine äußert bedenkliche Form des geist- und denkfeindlichen Irrsinns um sich griff: Studenten, die sich durch Aussagen ihrer Professoren in ihren Gefühlen verletzt sahen, stellten ihre Dozenten öffentlich an den Pranger und schwärzten sie bei der Unileitung an.
Dabei ging es nicht um Beleidigungen oder Belästigungen, sondern um Meinungen, Thesen und Argumente, ohne deren freien Austausch die universitäre Lehre verkümmert. Die Hochschullehrer gerieten ins Visier der Studenten, weil sie Dinge aussprachen, die im Konflikt zu den sich immer weiter verschärfenden Auffassungen von Politischer Korrektheit standen.
Das aber war aus Sicht der „Erwachten“ (so müssten die Woken auf Deutsch eigentlich heißen) eine unverzeihliche Sünde. Besonders skandalös war dabei, dass auch die Hochschulleitungen nicht immer zu ihren Angestellten hielten und sich stattdessen im Appeasement gegenüber den Denunzianten versuchten, um die eigene Haut zu retten.
Die Uni-Leitungen sind entweder feige oder selbst schon woke
„Wie gut, dass ich in Deutschland lebe!“ dachte ich damals. „Hier sind die Dinge noch in Ordnung.“ Leider hat die Realität mich eines Schlechteren belehrt. Denn inzwischen ist der Trend aus den USA vollends nach Deutschland übergeschwappt und es sieht nicht danach aus, als würde sich dieser Ungeist so bald wieder verziehen. Das erkennt man nicht zuletzt daran, dass es in Deutschland inzwischen den Bedarf für ein Netzwerk Wissenschaftsfreiheit gibt, das sich nach eigener Aussage „für ein freiheitliches Wissenschaftsklima“ einsetzt.
Auf der Homepage des Netzwerks sind zahlreiche Fälle dokumentiert, von denen viele dem eingangs beschriebenen Schema folgen: Rechtlich gänzlich unbedenkliche Aussagen werden von einer kleinen, aber lautstarken Gruppe öffentlich skandalisiert und der angeklagte Wissenschaftler gegenüber seinem Arbeitgeber, der Universität, denunziert – und zwar leider auch in Deutschland des Öfteren mit Erfolg.
Für die Reaktion mancher Universitäten gibt es eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder sind die Verantwortlichen an der Unispitze zu feige, um dem Mob entgegenzutreten, weil sie fürchten, in diesem Fall als nächstes des Hasses, der Hetze und der Diskriminierung bezichtigt zu werden. Oder aber sie haben die Ideologie der „Erwachten“ derart verinnerlicht, dass sie selbst aus voller Überzeugung für die neuen Grenzen des Sagbaren eintreten.
Die freie Suche nach der Wahrheit wird untergraben
So oder so ist es nicht gut um die deutsche Universitätslandschaft bestellt. Denn wenn man als Forscher oder Dozent Angst davor haben muss, bestimmte Dinge öffentlich zu äußern, führt das zu einer präventiven Selbstzensur, die das Denken lähmt und dazu führt, dass gewisse Themen nicht mehr wissenschaftlich bearbeitet werden.
Zu beobachten ist auch, dass Positionen, die bisher zum Kernbestand des abendländischen Denkens gehörten, nun als „extrem“, „rechts“, „faschistisch“ und so weiter gebrandmarkt werden. Oft reicht schon die Verwendung eines bestimmten Ausdrucks, wie etwa „Volk“ oder „Zweigeschlechtlichkeit“, um eine Empörungswelle – oder zumindest die Angst davor – heraufzubeschwören. Zunehmend werden Wörter und Begriffe nicht mehr geistig reflektiert, sondern bloß noch nach einem primitiven Reiz-Reaktions-Schema verarbeitet.
So etablieren sich Gefühle nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch innerhalb der Hochschulen nach und nach als das einzige Maß des Denk- und Sagbaren. Damit wird die wesentliche Funktion der Universität, nämlich die freie Wahrheitssuche zu gewährleisten, untergraben.
Die Nachfrage nach offenem Diskurs bleibt bestehen
Eine denkbar schlechte Situation für Wissenschaftler also, könnte man meinen; vor allem für Geisteswissenschaftler. Mathematiker und Biologen finden, wenn es zu bunt werden sollte, auch in der freien Wirtschaft eine angemessene Anstellung. Für Philosophen oder Historiker sieht es auf den ersten Blick schwieriger aus. Doch die Nachfrage nach einem Denken ohne Scheuklappen wird angesichts der beschriebenen Entwicklungen nicht weniger werden.
Und so sieht die Sache dann nicht ganz so düster aus. Denn je weniger die Universitäten ihrem Auftrag, die freie Entfaltung des Geistes zu ermöglichen, nachkommen, desto mehr verlagert sich der offene Diskurs an andere Orte und auf andere Kanäle. Für Geisteswissenschaftler, die wirklich etwas zu sagen haben, ist dies auch eine Chance.
Kommentare
Dogmen und Tabus sind Grundlagen des Glaubens.
Religion wird vom Glauben getragen. Wissenschaft vom Zweifel.
Zweifel sind die Voraussetzung für eine Diskussion.
Die Diskussion wird dort stattfinden, wo sie zugelassen wird.
Das werden nicht mehr diese Universitäten sein.
Off Topic - oder auch nicht: Ich trauere um Gunnar Kaiser.