Direkt zum Inhalt
EKD unterstützt Neuregelung der Abtreibung

Was ist daran noch evangelisch?

„Die Tötung der Frucht im Mutterleib ist Verletzung des dem werdenden Leben von Gott verliehenen Lebensrechtes. Die Erörterung der Frage, ob es sich hier schon um einen Menschen handele oder nicht, verwirrt nur die einfache Tatsache, dass Gott hier jedenfalls einen Menschen schaffen wollte und dass diesem werdenden Menschen vorsätzlich das Leben genommen worden ist. Das aber ist nichts anderes als Mord.“ Zahllose evangelische Kirchengemeinden in Deutschland tragen den Namen des Verfassers dieser Zeilen: Dietrich Bonhoeffer. In seinen zwischen 1940 und 1943 verfassten Manuskripten zur Ethik findet sich dieses bemerkenswerte Zitat.

Gehörte Bonhoeffer während des Dritten Reiches noch einer Minderheit lutherischer Theologen an, die dem Regime aktiven Widerstand leisteten, waren die Ehrungen und Denkmäler seit dem Ende der NS-Diktatur umso zahlreicher. Dietrich Bonhoeffer – das eherne evangelische Vorbild im mutigen Kampf gegen Unmenschlichkeit, Gottlosigkeit und die vorsätzliche Vernichtung menschlichen Lebens. Eine Mahngestalt, an der die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sich auch heute noch messen lassen kann?

 Zweifel sind angebracht, zumindest, wenn man die jüngsten Einlassungen des Rats der EKD im Zusammenhang mit den Diskussionen um eine Abtreibungslegalisierung betrachtet. Veröffentlicht wurde die Stellungnahme an just jenem 18. Dezember 2024, an dem es in einer vielbeachteten Sitzung des Rechtsausschusses im Bundestag zu einem zähen Ringen um einen Gesetzentwurf der Abtreibungsbefürworter kam. Dass es sich bei der EKD-Stellungnahme in erster Linie um ein wohlkalkuliertes Unterstützungssignal für die Legalisierung von Abtreibungen gehandelt hat, kann man angesichts des Wortlauts des Papiers wohl annehmen.

Wie begründet der Rat der EKD seine Positionen?

Entscheidend im EKD-Papier ist die Zustimmung zum Vorhaben, Abtreibung in den ersten zwölf Wochen grundsätzlich zu legalisieren. Dies sei eine „Grundentscheidung“, welche die EKD mit der Ratsvorsitzenden Kerstin Fehrs „mittragen“ könne. Auch wenn es scheint, als sei den Verfassern der Stellungnahme angesichts dieser Wortwahl der fundamentale Paradigmenwechsel bewusst, den das aktuelle Vorhaben bedeutet, wird an anderer Stelle behauptet, der vorliegende Gesetzentwurf schreibe „in evangelischer Perspektive weitgehend zustimmungsfähig den bereits bestehenden Kompromiss fort“.

Die EKD und die Schwangerschaftskonfliktberatung

Ausdrückliche Zustimmung findet der Gesetzentwurf bei der EKD auch bei den „Revisionen im Blick auf die Formulierung von Beratungszielen“ – etwas, was in seiner Tragweite einer genaueren Betrachtung wert ist: Der Rat der EKD bejaht hier ausdrücklich, dass die Beratung Schwangerer in Not in Zukunft nicht mehr zum Ziel haben soll, die Frau zur Fortführung der Schwangerschaft zu ermutigen. Stattdessen stützt das offizielle Sprachrohr des deutschen Protestantismus hiermit das Vorhaben, eine kalte und schulterzuckende Neutralität in Gesetzesform zu gießen, die in der realen Lebenswelt von Schwangeren in Not immer wieder als unterlassene Hilfeleistung wahrgenommen wird.

Besonders vieldeutig ist die Erklärung mit Blick auf die Zukunft der Schwangerschaftskonfliktberatung: Hier fordert die EKD „ein rechtlich abgesichertes, niederschwelliges, wohnortnahes, flächendeckendes, kostenfreies und qualifiziertes psychosoziales Beratungsangebot“. Vor dem Hintergrund einer Vielzahl an Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in kirchlicher Trägerschaft bei gleichzeitiger staatlicher Finanzierung beziehungsweise Subventionierung kann man nicht ausschließen, dass der Rat der EKD hier nicht unbedingt oder ausschließlich pro femina, sondern zumindest teilweise auch pro domo spricht. In der Forderung, ein „rechtlich abgesichertes“ Beratungsangebot zu gewährleisten, kann man zusätzlich auch eine Zustimmung zu einer möglichen künftigen Diskriminierung nichtstaatlicher Beratungsorganisationen sehen, die auch unter einem neuen Gesetz Frauen nach dem Grundsatz „Hilfe statt Abtreibung“ beraten würden.

In wenigen Punkten findet das aktuelle Gesetzesvorhaben indes keine Zustimmung der EKD: So setzt sich der Rat für eine verringerte Wartezeit von 24 Stunden zwischen Beratungsgespräch und Abtreibung ein. Bisher waren es drei Tage; die Gesetzesinitiatoren sehen überhaupt keine Wartezeit vor. „Bedenklich“ sei es zudem, „die Schwangere bis hin zur Geburt und losgelöst von der Beratung aus jeder rechtlichen Verpflichtung zu entlassen, wie das der Entwurf beinhaltet“.

 Wie begründet der Rat der EKD nun seine Position aus einer ethisch-theologischen Perspektive? Zunächst einmal dadurch, dass behauptet wird, bei einem Schwangerschaftskonflikt handele es sich um einen „unlösbaren Konflikt“. Denn:

„Dem Anspruch des Ungeborenen, geboren zu werden, steht der Anspruch an das eigene Leben gegenüber, dem sich die Schwangere ebenso verpflichtet sieht.“

Manch unbedarfter Leser mag sich an dieser Stelle fragen, ob denn eine Entscheidung gegen eine Abtreibung den Tod der Schwangeren bedeute. Jedenfalls führt der Rat der EKD weiter aus: „Beide Ansprüche gelten für sie unbedingt, und beide können aus einer christlichen Perspektive als Gottes Gebot verstanden werden.“ Gleichzeitig heißt es: 

„Aus menschlicher Perspektive mögen konkurrierende Ansprüche als unauflösbares Dilemma erscheinen. Als Christ:innen sind wir aber sicher, dass im Horizont der eindeutigen Gewissheit von Gottes liebender Zuwendung eine verantwortliche Entscheidung möglich wird.“

Unsere Fragen an die EKD

Die EKD-Autoren fliehen hier in ein pastoral-emotionales Geschwurbel, um den Skandal ihrer Aussage zu verstecken. Sie vergleichen einen Schwangerschaftskonflikt mit einem „unauflöslichen Dilemma“ und verneinen damit, dass die Geburt des Kindes die objektiv richtige Entscheidung ist. Im nächsten Satz, der Christen passenderweise mit einem subversiven und geschlechtslosen Gender-Doppelpunkt entstellt, sehen sie offensichtlich auch in der Abtreibung eine „verantwortliche Entscheidung“, die Gott mit „liebender Zuwendung“ begleite.

Der Rat der EKD gibt schlicht und ergreifend grünes Licht, sozusagen höhere protestantische Weihen für ein Gesetzesvorhaben, dessen Verfechterinnen sich in der Bundestagsdebatte vom 5. Dezember 2024 eher durch wenig besinnliche Töne ausgezeichnet haben.

 

> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge

 

Corrigenda hat der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Reihe an Fragen zur zitierten Stellungnahme vom 18. Dezember übermittelt, um sichergehen zu können, ob die EKD diese Positionen wirklich so vertritt. Wir veröffentlichen nachfolgend sämtliche Fragen:

  1. Glauben Sie, dass ein SSK (Schwangerschaftskonflikt) ein „unauflösbarer Konflikt“ ist, in dem es keine objektiv richtige Entscheidung gibt?
  2. Glauben Sie, dass die Abtreibung und die Entscheidung für das Kind moralisch auf einer Ebene stehen und beide Entscheidungen „aus christlicher Perspektive“ Gottes Geboten gerecht werden?
  3. Sie sagen, die schwangere Frau müsse „selbst entscheiden“. Glauben Sie, dass die Entscheidung für eine Abtreibung eine „verantwortbare Entscheidung“ ist, die mit dem „evangelischen Menschenbild“ übereinstimmt?
  4. Glauben Sie, dass Gott die Entscheidung für eine Abtreibung als „verantwortliche Entscheidung“ ansieht und mit „liebevoller Zuwendung“ begleitet?
  5. Glauben Sie, dass Abtreibungen keine moralischen Handlungen sind und eine Illegalität diese fälschlicherweise stigmatisiert – sind Sie deshalb für eine teilweise Legalisierung von Abtreibung?
  6. Was sind die erwähnten „Ansprüche des Ungeborenen“?
  7. Glauben Sie, dass die Verwendung von Verhütungsmitteln und mehr Sexualkunde zu weniger Abtreibungen führt?
  8. Wann beginnt für Sie das menschliche Leben?
  9. Welchen Schutz sollte das ungeborene Leben durch Staat und Gesellschaft genießen?
  10. Was bedeutet für die EKD Abtreibung?

Die Antwort der EKD in voller Länge:

„In einer ungewollten Schwangerschaft stehen elementare Lebensperspektiven auf dem Spiel, die des ungeborenen Lebens und die der ungewollt schwangeren Frau. Zwei Lebensansprüche stehen in einem Konflikt, der sich weder objektiv noch subjektiv lösen lässt. Deshalb zählt die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zu den schwerwiegendsten ethischen Herausforderungen, die sich weder rein dogmatisch noch kriteriologisch lösen lässt. Das über allem stehende Anliegen muss der effektive Schutz des Lebens sein, der sowohl dem ungeborenen Leben als auch der schwangeren Frau gilt.
In dem von der EKD veröffentlichten Diskussionspapier werden mögliche Kompromisslinien skizziert und Eckpunkte formuliert, die aus evangelisch-ethischer Sicht in der Debatte Berücksichtigung finden müssen. Der Fokus sollte dabei nicht allein auf der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs liegen, sondern zusätzlich auf Aspekte gerichtet werden, die einen effektiven Schutz des Lebens ermöglichen, wie ein kinder- und familienfreundliches Klima.“

Die besondere Bedeutung des ungeborenen Lebens in der Bibel

Auffallend ist: Die EKD behauptet, dass in einer ungewollten Schwangerschaft „zwei Lebensansprüche“ in einem Konflikt stünden. Ist denn das Leben der Frau in Gefahr? Oder will die EKD sagen, dass eine ungewollte Schwangerschaft im Gegensatz zu einem modernen Autonomieanspruch steht und unglücklich machen kann? Diese Vorstellungen sind aber eine absolute Abkehr vom christlichen Menschenbild. Denn natürlicherweise kann aus Sexualität eine Schwangerschaft folgen, und es entspricht der Natur der Frau und ist objektiv richtig, diese Schwangerschaft zu bejahen und das Kind zur Welt zu bringen.

Dem ein Konstrukt von Selbstbestimmung entgegenzustellen, das jede natürliche Ordnung verneint, ist ein Kniefall vor dem antichristlichen Feminismus des vergangenen Jahrhunderts, der alles verneint, was weiblich und natürlich ist und an dessen Ende die Sexualität, die Ehe und das Leben selbst angreift.

Das Grundgesetz sieht auch nur ein Leben existenziell gefährdet, wenn es vom Staat verlangt, „sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen“, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Beschluss von 1974 betonte.

Betont die evangelische Theologie nicht die Bedeutung der Bibel? Auch dort nimmt das ungeborene Leben einen hervorgehobenen Stellenwert ein. Als die schwangere Maria ins Bergland von Judäa aufbricht, eilt sie in die Stadt, in der ihre Cousine Elisabeth lebt, die ebenfalls ein Kind unter ihrem Herzen trägt. Beim Anblick Marias ruft Elisabeth aus: „Denn kaum hörte ich deine Stimme, da hüpfte das Kind in mir vor Freude. Wie glücklich kannst du dich schätzen, weil du geglaubt hast!“ (vgl. Lukas 1:39-45). Ebenfalls kommt das ungeborene Leben in Psalm 139 vor: „Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“

Der katholische Pfarrer Guido Rodheudt schrieb dazu:

„Die Schilderung des Besuches Mariens bei Elisabeth fordert deswegen von allen, die glauben, die Verteidigung des ungeborenen Lebens. Die Heilige Schrift scheut sich nicht, den Tanz der Ungeborenen zu beschreiben, die im Schoß ihrer Mütter eine erste Begegnung miteinander erfahren. Nichts darf zu viel sein, um in der persönlichen Umgebung, manchmal sogar in der eigenen Familie, für die Heiligkeit des Lebens vor der Geburt einzutreten, das niemals und unter keinen Umständen irgendetwas anderem nachgeordnet werden darf.“

Als ob Lebensschutz des Kindes die Gefährdung der Mutter bedeutet

Doch auch ein zweites EKD-Argument ist bemerkenswert. „Das über allem stehende Anliegen muss der effektive Schutz des Lebens sein, der sowohl dem ungeborenen Leben als auch der schwangeren Frau gilt.“ Was zunächst sinnvoll und logisch erscheint, ist in Wirklichkeit ein an der Realität vorbeigehendes Scheinargument. Denn wer für den Schutz des ungeborenen Lebens ist, der setzt sich schließlich nicht für eine Gefährdung der Mutter ein. Ja, es gibt sehr seltene Ausnahmefälle, in denen das Leben der Mutter durch eine Schwangerschaft gefährdet ist, der überwiegende Teil der Abtreibungen in Deutschland findet jedoch nach der sogenannten Beratungsregelung statt. Die Zahlen sind öffentlich, medial breit diskutiert und der EKD mit Sicherheit bekannt.

Was sagt es also aus, wenn die EKD trotzdem einem Gesetzesvorschlag den kirchlichen Segen erteilt, der Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vollständig legalisiert?

Bonhoeffer sagte: „Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion, sondern zum Leben.“ Genau das Gegenteil tut die EKD. Sie bläst im Namen einer neuen Religion – zumindest nicht der christlichen – Wind in die Segel jener politischen Kräfte, die nicht zum Leben, sondern zu Leid und Tod fahren.

 

› Folgen Sie uns schon auf Instagram oder LinkedIn?

56
2

5
Kommentare

Kommentare