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Freikirchen auf dem Vormarsch

Was die evangelischen Landeskirchen von Freikirchen lernen können

Nachdem man sich im Möbelmarkt endlich für ein passendes Stück entschieden hat, kehrt man mit Vorfreude in die eigenen vier Wände zurück. Doch schnell wird die Freude getrübt, wenn einem bewusst wird, dass das Möbelstück noch aufgebaut werden muss. In diesem Moment stellt sich die Frage: Soll man die Anleitung zur Hilfe nehmen oder einfach aus dem Bauch heraus handeln?

Oftmals neigt man dazu, aus reiner Bequemlichkeit auf die Anleitung zu verzichten und stattdessen nach Gefühl zu agieren. Jedoch kann es passieren, dass nach dem Zusammenbau des Möbelstücks noch Schrauben übrigbleiben oder sie locker sind. Wenn sich manche Schrauben nicht an ihrem vorgesehenen Platz befinden, wackelt das Bauwerk zwar, aber es hält vorerst. Irgendwann ist es unausweichlich – das Bauwerk fällt in sich zusammen. Es wäre von vornherein besser gewesen, das Möbelstück wieder auseinanderzunehmen und es nach der Anleitung zusammenzubauen.

Der richtig beziehungsweise falsch zusammengebaute Schrank ist ein Bild für den Plan Gottes für seine Gemeinde. Jesus Christus hat nämlich nie beabsichtigt, dass sie nach Belieben, ohne klare Anleitung aufgebaut wird. Wer sich nicht an die göttliche „Anleitung“ hält, der sollte sich nicht wundern, dass am Ende noch „Schrauben“ übrigbleiben oder die Konstruktion zusammenbricht.

Warum wenden so viele Menschen in Deutschland den Landeskirchen den Rücken zu? Trotz der Vielzahl an Kirchen gibt es viele hungrige und wandelnde Schafe, und sie suchen ihre Weide meist in den Freikirchen. Etwa weil dort die Schrauben fester beziehungsweise an richtiger Stelle sitzen?

Nicht jeder Ort braucht eine christliche Kirche

Ein führender Vertreter der südlichen Baptisten in den USA soll sich einmal folgendermaßen geäußert haben: „Was wir in unserer Heimatmission als nächstes brauchen, ist eine Abteilung für die Sanierung und Überholung unserer örtlichen Gemeinden. Es gibt viele Gemeinden, die praktisch im Sterben liegen und deren Zeit abgelaufen ist.“

Mit Blick auf die evangelischen Landeskirchen hallen diese Worte sehr klar und deutlich nach. Warum werden Dinge wie Tempolimits und Ampelsysteme diskutiert? Man fragt sich, was all das mit dem Glauben zu tun hat. Es ist fast so, als würde man eine Sitzung des Verkehrsministeriums verfolgen.

Damit man das Zitat besser verstehen kann, sollte man sich folgenden geistlichen Zerfallsgesetzes bewusstwerden: Die Gemeinde Jesu ist beides – geistlicher Organismus und menschliche Organisation. Jede irdische Organisation widersteht Versuchen der Veränderung, Reformation oder Erneuerung. Denn die Veränderung traditioneller Wege oder Werte ist nicht einfach.

Es gibt bestimmte Missverständnisse, die in Bezug auf die Beurteilung von Kirchengemeinden ausgeräumt werden sollten. Zum einen geht es nicht darum, ob vor Ort eine religiöse Organisation existiert, die sich selbst als Kirche bezeichnet. Vielmehr sollte die Frage darauf abzielen, ob eine Kirchengemeinde den Standards und Maßstäben des Neuen Testaments entspricht.

Des Weiteren ist es nicht ausreichend, dass in einer Gemeinde einige Gläubige zu finden sind. Vielmehr ist es wichtig zu überprüfen, ob eine bestehende Gemeinde in der Lage ist, die Bedürfnisse der Gläubigen zu erfüllen und diese für ihren Alltag auszurüsten. Fakt ist, dass die gegenwärtige Bevölkerung Deutschlands in den bestehenden Kirchen nicht für Christus gewonnen wird.

Laut Statistik besuchen nicht einmal 13 Prozent der katholischen und evangelischen Christen den Sonntagsgottesdienst. Die Aufrechterhaltung der formalen Kirchenmitgliedschaft bezeugt nicht „geistliches Interesse“, sondern Trägheit. Doch auf diese offensichtliche Trägheit, so scheint es, baut die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihre Existenz auf. Diese Trägheit führt jedoch zu Gleichgültigkeit und Ablehnung gegenüber den bestehenden Kirchen.

Es stellt sich die Frage, welche Schrauben möglicherweise justiert werden müssen. Eine Veränderung der Perspektive könnte hierbei vonnöten sein. Welche Schrauben innerhalb der Freikirchen sitzen fest? Bieten diese möglicherweise einen Anreiz, verlorene Schrauben aufzuspüren oder lose zu fixieren?

1. Jesus Christus ist Dreh- und Angelpunkt

Es ist in der Mehrheit der Freikirchen unumstritten, dass Jesus die zentrale und wichtigste Rolle einnimmt. Dabei geht es um die Bedeutung einer wahren Beziehung zu Gott und nicht um das bloße Einhalten äußerer Rituale oder Formen. Denn wenn man sich nur auf diese äußerlichen Aspekte konzentriert, kann dies dazu führen, dass das spirituelle Wachstum vernachlässigt wird und der Glaube oberflächlich bleibt. Es ist wichtig, sich auch mit schwierigen Fragen und Situationen auseinanderzusetzen und nicht in einer Scheinheiligkeit zu verharren.

Jesus selbst kritisierte die damaligen religiösen Führer und sagte: „Ihr Heuchler! Jesaja hat über euch Recht behalten, wenn er sagte: ‘Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit weg von mir’“ (Matthäus 15:7-8). Jesus betonte, dass der Gottesdienst dieser Menschen wertlos sei, da sie nur die Gebote von Menschen befolgten.

Geht man in die Kirche, weil es ein religiöser Zwang ist? Oder geht man in die Kirche wegen der Personen, die man dort treffen kann? Ist Jesus beim Kirchgang die Hauptattraktion?

Wenn man nicht von Jesus Christus, dem einzigen Sohn Gottes, zutiefst angezogen ist, dann kann man den Sonntag an anderer Stelle verbringen als in der Kirche.

2. Menschen für Christus gewinnen anstatt formale Mitgliedschaft

Die zweite feste Stellschraube hat damit zu tun, dass das Ziel der Freikirchen ist, die Menschen für Jesus zu gewinnen und nicht für eine Mitgliedschaft.

Die harte Realität sieht folgendermaßen aus: Trotz cooler und hipper Kirchen, die so gut wie alles anbieten, was das Herz begehrt, entfernt sich Deutschland immer mehr von Gott.

Was sind Freikirchen?

Freikirchen basieren auf der Lehre der Bibel und auf dem apostolischen Glaubensbekenntnis. Als ihr Vorbild nennen viele Freikirchen das Urchristentum. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die Bekehrung und persönliche Beziehung zu Jesus Christus ein. Liturgie und organisatorische Strukturen spielen im Gegensatz zur katholischen oder evangelischen Kirche hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Die größte deutsche Freikirche in Deutschland ist der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) mit rund 75.000 Mitgliedern. Daneben gibt es den Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) mit 64.807 Mitgliedern sowie mehrerer kleinerer unabhängiger Gemeinden. Auch internationale freikirliche Bewegungen sind im deutschsprachigen Raum aktiv, wie etwa der International Christian Fellowship (ICF). Einige von ihnen sind Mitglieder der Evangelischen Allianz in Deutschland.

Denn wenn die Gemeinden nur durch Attraktionen, Events, die beste Musik und die besten Redner Menschen für sich gewinnen, dann bedeutet das auch, dass man die Leute durch andere Tricks bei der Stange halten muss, sonst verschwinden sie so schnell, wie sie auch gekommen sind. Es mag durchaus möglich sein, Menschen auf unterschiedliche Weise in die Gemeinde zu „locken“. Doch das allein genügt nicht. Viel wichtiger ist, dass auch Substanz in den Gemeinden vorhanden ist.

Es scheint, als müsse sich die Evangelische Kirche in Deutschland selbst einer kritischen Prüfung unterziehen und ihre inneren Strukturen hinterfragen. Auch die freikirchlichen Gemeinden sind dabei nicht ausgeschlossen. Jedoch fällt auf, dass Freikirchen offenbar besser in der Lage sind, sich selbst zu reflektieren und Veränderungen herbeizuführen. Um ehrlich zu sein, zeigen die meisten Gemeinden innerhalb der evangelischen Kirche jedoch kein Interesse daran, ihre Mitglieder geistlich auszurüsten.

3. Eine klare Mission

Lobpreis ist in den meisten freikirchlichen Gottesdiensten fest verankert

Freikirchen haben ein klares Ziel. Gemäß dem Missionsbefehl Jesu, wie er in Matthäus 28 niedergeschrieben ist, haben Christen den Auftrag, in alle Völkergruppen zu gehen und die Menschen zu Jüngern Christi zu machen. Die Verkündigung der Frohen Botschaft sollte somit immer das vorrangige Ziel sein, um den Auftrag Jesu zu erfüllen.

Eine erfolgreiche Gemeinde zeichnet sich nicht dadurch aus, wie viele Menschen man in die eigenen Räumlichkeiten hineinbekommt. Vielmehr sollte es darum gehen, wie viele Menschen man aus der Gemeinde heraus in die Gesellschaft und in die Welt senden kann. Der Fokus sollte nicht nur auf der Anzahl der Mitglieder liegen, sondern auch auf deren Ausrichtung und ihrem Engagement für das Wohl der Gesellschaft. Wenn es einer Gemeinde gelingt, Menschen für den Dienst am Nächsten zu begeistern, dann wird man eine positive Wirkung auf das unmittelbare Umfeld haben.

4. Jugendliche spricht ein authentisches Glaubensleben an

Man hört oft von Leuten, dass das Christentum irrelevant sei und nichts zu bieten habe. Doch dieses Urteil basiert darauf, dass man wahrscheinlich kein biblisches Christentum und auch kein biblisches Gemeindeleben erlebt. Dabei spielt insbesondere das Verhalten der Eltern und des Pastors eine wichtige Rolle: Leben sie ihren Glauben und ihre Überzeugungen auch im Alltag konsequent und authentisch vor?

Viele Jugendliche lehnen das formale Kirchentum ihrer Eltern ab. Das authentische und ehrliche Glaubensleben in Freikirchen spricht sie jedoch an. Um die nächste Generation für den Glauben zu gewinnen, sollte man das Leben mit Gott und den eigenen Überzeugungen durch Taten zeigen. Denn wenn Kinder und Enkelkinder dabei nur Kompromisse sehen, werden sie von Gott und Kirche enttäuscht sein.

Eine weise Redensart lautet: „Man zeugt nicht das, was man will, sondern man zeugt das, was man ist.“ In diesem Sinne sollte man sich als Christ hinterfragen und reflektieren, ob man wirklich das verkörpert, was man glaubt. Denn nur so kann man dazu beitragen, dass das Christentum für die nächste Generation relevant und bedeutungsvoll bleibt.

Eine zentrale Betonung auf die persönliche Beziehung zu Gott und die Förderung einer aktiven Glaubenspraxis in der Gemeinschaft sind charakteristisch für Freikirchen. Diese Gemeinschaften sind bekannt für ihre lebendige und engagierte Zusammenkunft, bei der sie regelmäßig beten, die Bibel studieren und Gottesdienste feiern. Es ist essenziell, dass die Gemeinde aktiv in die Gottesdienste und in das kirchliche Leben eingebunden wird.

Jede Generation muss neu um einen lebendigen Glauben ringen

Wenn man beim Lösen einer Rechenaufgabe merkt, dass man auf dem falschen Weg ist, benötigt man die Einsicht, dass es vernünftiger ist, wieder von vorne anzufangen, anstatt weiterhin mit falschen Annahmen zu rechnen.

Eine Einsicht aus dem Gemeindeleben lautet: Neue Gemeinden wachsen besser als alte Gemeinden. Zwei Ursachen sind dafür verantwortlich: Zum einen hat die Jugend mehr Vitalität als das Alter. Dies trifft auch auf örtliche Gemeinden zu, die einen „Lebenszyklus“ zu haben scheinen. Zum anderen befinden sich neue Gemeinden noch nicht im Stadium der „Gemeindekrankheiten“, die in dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, beschrieben werden. Diese umfassen den Verlust der sogenannten „ersten Liebe“ zu Christus, ein vererbtes, zweites Generationschristentum, sowie das Festhalten an überlieferten Traditionen und Formen, die in der Gegenwart ihre Bedeutung verloren haben.

Es gibt aber auch gute Ansätze in den Organisationsstrukturen der Landeskirche. Ein Beispiel dafür ist die „YChurch“, die etwas Neues gestartet hat. Es handelt sich um ein Kooperationsprojekt des evangelisch geprägten, jedoch christlich-ökumenisch ausgerichteten „Christlichen Vereins Junger Menschen“ (CVJM) und der Landeskirche. „YChurch“ tätigt den Versuch, „eine Kirche für junge Menschen und junge Familien“ zu sein. Hier wurde offensichtlich eine der fehlenden Schrauben gefunden und an den vorgesehenen Platz montiert.

Um Veränderungen zu erlangen, bedarf es proaktiver Handlungen. Dabei ist ein unumstrittener Dreh- und Angelpunkt, Jesus Christus im Mittelpunkt zu behalten, der einzig und allein eine wahre Beziehung zu Gott ermöglicht. Denn der Glaube an Jesus ist offensichtlich der beste Katalysator, wenn Veränderung benötigt wird. Würde die EKD die Dynamik und Offenheit, die man in den Freikirchen sehen kann, aufnehmen und in ihre Gemeinden integrieren, könnte sie dazu beitragen, dass die Menschen wieder den Weg in die Kirche finden.

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