Schattenspiel
Es brodelt die ganze Woche in mir. Das N-Wort muss raus. Meine Frau Judith und ich hatten erst Witze gemacht, sie hatte in aller Aufrichtigkeit gefragt, wofür das „N“ denn stehe? „Nichtsnutz“ hatte ich durch die Zähne geknurrt, was ich ganz lustig fand. Und dann flüstere ich es doch: „Neger“.
Ich merke, wie es befreit, etwas auszusprechen, was seit Tagen nur als Abkürzung durch die Debatte geistert, weil es eine solche Ungeheuerlichkeit ist, dass sich jeder selbst einen Maulkorb verordnet. Aber nur vom N-Wort zu sprechen und zu glauben, damit verschwinde der Begriff als Ganzes, ist wie der Versuch in der Sonne zu stehen, ohne Schatten zu werfen. Es funktioniert nicht.
So suspekt wie Politiker mit Armbinden
Ich denke an mein einziges Buch im Leben, das ich vom ersten bis zum letzten Buchstaben erst vorwärts und dann von hinten nach vorn und anschließend von der Mitte nach hinten und gleichzeitig auch nach vorn gelesen habe: Pippi Langstrumpf. Ihr Vater Efraim ist ein „Negerkönig“. Deswegen sind in einer Gemeinde südwestlich von Stockholm jüngst Pippi-Langstrumpf-Ausgabe verbrannt worden.
Mir sind Bücherverbrennungen in etwa so suspekt wie Politiker mit Armbinden. „Ich finde Sprachpolizisten voll Banane, weil sie mir eine Haltung unterstellen, die ich gar nicht habe. Und weil sie glauben, dass eine Wirklichkeit eine andere wird, wenn wir andere Worte für sie finden“, schimpfe ich vor mich hin. Ich gerate schwer in theoretisches Terrain von wegen Hegel und seinem Bewusstsein, das angeblich sein Sein bestimmt, was Marx wiederum zur Behauptung des Gegenteils animierte.
Judith hört in solchen Fällen meist still zu. Und dann kommt immer etwas ganz Praktisches: „Ich finde es ein bisschen besser, wenn niemand mehr Ausdrücke von gestern, die heute als rassistisch gelten, noch in den Mund nimmt.“ Ich fühle mich wie ein Dampfkochtopf, unter dem der Koch das Gas ausdreht.
Ein Rat von Pippi Langstrumpf
Ich suche nach meiner alten Astrid-Lindgren-Gesammelte Werke-Ausgabe und finde sie neben dem ebenso alten „Werkbuch für Jungen“. Ich blättere und lese mich fest und entdecke den „Negerkönig“, den ich aber gar nicht gesucht habe. Dann finde ich ihn, meinen gesuchten Satz: „Zu viel Gelehrsamkeit kann selbst den Gesündesten kaputtmachen“, sagt Pippi.
„Judith“, rufe ich und schmatze ihr einen Kuss nach schräg unterhalb vom rechten Ohr, „welches N-Wort fällt Dir jetzt ein?“ „Nimmersatt“, haucht sie und ich bin sehr froh, dass sie diesmal nicht „Nervensäge“ gesagt hat.
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