Echte Helden, nicht Superhelden
Jüngst führte mich eine Vortragsreise nach Zagreb. Es war mein erster Besuch in der kroatischen Hauptstadt. Das städtebauliche Erbe des Sozialismus ist noch lange nicht verschwunden, aber erfreulicherweise gibt es auch noch viele Gebäude, anhand derer deutlich wird, dass das Land einmal Teil des österreichischen Kaiserreichs gewesen ist. Auf dem zentralen Platz der Stadt zieht das geschmückte Reiterstandbild des Nationalhelden Ban Josip Jelačić die Blicke auf sich.
Während in westlichen Ländern wie Deutschland, England oder auch den USA historische Denkmäler bedeutender politischer und militärischer Führer zunehmend Argwohn erregen, von Aktivisten geschändet oder gar auf Betreiben des Staates entfernt werden, scheint es in Mittel- und Osteuropa noch eine ungetrübte Heldenverehrung zu geben. Woher rührt eigentlich diese Diskrepanz?
Wenn es den Menschen verboten ist, einen König zu verehren
Was es mit der kroatischen Heldenverehrung auf sich hat, erhellte sich mir, als ich mit einem meiner jungen Gastgeber über Fußball sprach. Ob Luka Modrić, einer der besten Mittelfeldspieler der letzten Jahrzehnte und Spielerlegende beim Überclub Real Madrid, als Volksheld verehrt werde, wollte ich wissen. Mein Gegenüber schien ob dieser Frage fast schon peinlich berührt zu sein: Ein Volksheld?
Nein, das sei Modrić sicher nicht. Ein beliebtes Werbegesicht und auch ein Vorbild auf dem Platz, das sicher. Aber man hätte in Kroatien noch echte Helden aus den Jugoslawienkriegen, da müsse man nicht zu Fußballstars aufschauen oder gar zu den Comic-Superhelden Zuflucht nehmen, die Hollywood in die Kinos und heimischen Wohnzimmer spült.
Als ich später über diese Worte nachdachte, fiel mir ein Zitat von C. S. Lewis ein: „Wo es den Menschen verboten ist, einen König zu verehren, verehren sie stattdessen Millionäre, Sportler oder Filmstars; oder sogar berühmte Prostituierte oder Verbrecher. Denn den geistigen Bedürfnissen muss ebenso Genüge getan werden wie den körperlichen: Wo Speise verwehrt wird, wird Gift verschlungen.“
Verehrung nur von den Seinen
In der Tat scheint dem Menschen ein natürliches Bedürfnis innezuwohnen, jene besonders in Ehren zu halten, die eine ausgezeichnete Funktion innerhalb der Gemeinschaft ausfüllen oder ihr besondere Dienste erwiesen haben. Wer angesichts einer feindlichen Bedrohung unerschrocken das Äußerste für seine Heimat riskiert, wer bereit ist, Leib und Leben für das Gemeinwohl aufs Spiel zu setzen, wer im existentiellen Kampf voranschreitet und die Geschicke seines Volkes zum Guten zu wenden versteht, der wird von den Seinen fast zwangsläufig als Held verehrt werden.
Daran zeigt sich schon, dass Heldenverehrung in einem gewissen Sinne relativ und nicht universell ist: Da der Held aufgrund seiner Verdienste für sein Volk, seine Nation, seine Gemeinschaft als Held gilt, kann er von Dritten vielleicht für seine Rechtschaffenheit oder seinen Mut anerkannt, aber eben nicht wirklich verehrt werden.
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Zweifellos spielen auch Projektion und Idealisierung eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Heldenverehrung. Aber daraus sollte man nicht ableiten, dass das Heldentum auf einem Hirngespinst, einem kollektiven Selbstbetrug beruht. So wie jeder Mythos erfunden ist und doch eine tiefere Wahrheit ausdrückt, so hängt auch die Legitimität der Heldenverehrung nicht davon ab, dass alle ihr zugrundeliegenden Details einer historisch-kritischen Überprüfung standhalten.
Nicht Helden mit Heiligen verwechseln
Aus demselben Grund spielt es keine Rolle, falls Nachforschungen ergeben sollten, dass im Grunde alle, denen man je ein Denkmal errichtet hat, auch dunkle Seiten hatten. Die Vorstellung, Helden müssten moralisch in jeder Hinsicht makellos sein, verwechselt den Begriff des Helden mit dem des Heiligen. Wobei ja selbst das Leben der Heiligen nicht frei von Verfehlungen ist.
Selbstverständlich gibt es auch rohe Gewalttäter, denen es, aus welchen Gründen auch immer, gelungen ist, die öffentliche Meinung über ihre Motive und Handlungen zu täuschen, so dass sie zu Unrecht als Helden gelten. Wer jedoch partout keinen noch so tapferen Einsatz für das Vaterland als heldenhaft anerkennen will, legt die falschen moralistischen Maßstäbe an, denen überhaupt niemand gerecht werden kann.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat einmal die Psychologie hinter der kleinlichen Heldennivellierung schonungslos aufgedeckt: „Für einen Kammerdiener gibt es keinen Helden, ist ein bekanntes Sprichwort; ich habe hinzugesetzt – und Goethe hat es zehn Jahre später wiederholt –, nicht aber darum, weil dieser kein Held, sondern weil jener der Kammerdiener ist.“
Wie erfrischend, wenn man einmal die Abwesenheit einer solchen geistigen Kammerdienerei erleben kann. Allein dafür hat sich die Reise nach Zagreb schon gelohnt.
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