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Kolumne „Der Philosoph“

Diener des Lebens oder Diener der Trostlosigkeit

Ich war schon in voller Vorfreude auf das Pfingstfest, an dem die Christenheit der Aussendung des Heiligen Geistes gedenkt, als ich auf einen erschütternden Artikel im britischen Guardian stieß: Zoraya ter Beek, eine 29-jährige Niederländerin, will sich töten lassen. Bei der jungen Ehefrau, die an Autismus, chronischen Depressionen und Angstzuständen leidet, sind alle bisherigen Therapieversuche erfolglos geblieben. Nun hat sie die Erlaubnis erhalten, sich von einem Arzt töten zu lassen.

Aktive Sterbehilfe ist in den Niederlanden seit über zwanzig Jahren erlaubt. Eine der Hauptbedingungen neben Freiwilligkeit und Zurechnungsfähigkeit: Es muss ein unerträgliches Leiden vorliegen, bei dem keine Hoffnung auf Besserung besteht. Wenn zwei ärztliche Gutachten dies bestätigen, kann der Arzt die Tötung auf Verlangen vornehmen. Im vergangenen Jahr ließen sich 9.068 Menschen in den Niederlanden im Rahmen des Euthanasiegesetzes umbringen, 139 davon wegen einer psychischen Krankheit.

Eine Art Gegenpfingsten

Das Leiden Ter Beeks muss grauenhaft sein. Die Qualen, die die Gefangenschaft im dunklen Kerker klinischer Depressionen verursachen, dürften für Gesunde nicht ansatzweise nachvollziehbar sein. Man hüte sich also vor der Selbstgerechtigkeit, eine seelisch kranke Person zu verurteilen, der das Leben auf eine solche Weise vergällt worden ist.

Zugleich aber steht der Fall Zoraya ter Beek exemplarisch für eine Kultur, die seit Jahrzehnten – wenn nicht sogar länger – eine Art Gegenpfingsten zu begehen scheint: Nicht vom Heiligen Geist, dem „Lebensbrunn“ und „Tröster“ zeugt das niederländische Euthanasiegesetz, sondern von einer trostlosen „Kultur des Todes“ (Johannes Paul II.). Das lässt sich auch dadurch nicht kaschieren, dass sich Befürworter der Praxis, Menschen wie Ter Beek umzubringen, auf Menschenliebe oder die Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen berufen. Wenn nämlich die Rede von der menschlichen Würde mehr sein soll als ein leeres Wort, dann muss das Dasein des Menschen etwas für ihn Unverfügbares sein.

Begründen lässt sich die Würde des Menschen auf zweierlei Weise: entweder mit Verweis auf seine Geschöpflichkeit und Gottebenbildlichkeit oder aber, wie dies Immanuel Kant getan hat, unter Bezugnahme auf seine Vernunftnatur. In beiden Fällen gilt, dass der Mensch keine Person, sich selbst eingeschlossen, als bloßes Mittel zum Zweck benutzen darf – egal wie mitleidsvoll, wünschenswert oder menschenfreundlich der Zweck auch daherkommen mag.

Grauenerregende Konsequenzen des kulturellen Todes Gottes

Wie aber insbesondere die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeigen, ist der Mensch offenbar nicht in der Lage, sich als autonomes Vernunftwesen zu begreifen, ohne in ein relativistisches Verständnis von Selbstbestimmung und Rationalität abzugleiten. Gesetze des Todes, wie sie in den Niederlanden oder auch in Kanada existieren, werden ja mit der Begründung erlassen, dass dadurch jeder Einzelne selbstbestimmt und rational über sein Schicksal entscheiden könne. Die gesellschaftliche und rechtliche Realität in diesen Ländern macht aber nur auf grauenerregende Weise deutlich, dass eine schrankenlose Freiheit, die nichts Unantastbares anerkennt, den Menschen und damit sich selbst im wörtlichen Sinne vernichtet.

Und selbst wenn man Kants Denken treu bliebe, stellte sich die Frage, welchen Trost Menschen wie Zoraya ter Beek und ihre Angehörigen aus der Feststellung schöpfen sollen, dass sie als Vernunftwesen eine unveräußerliche Würde besitzen. Eine allgemeine, aber unpersönliche Vernunft mag zu moralphilosophischen Begründungen taugen, das Herz aber vermag sie nicht zu bewegen. Wenn die irdischen Quellen der Hoffnung und des Trostes versiegen, bleibt einzig und allein die vertikale Ausrichtung, die Öffnung hin zu einem gleichermaßen transzendenten wie personalen Gott.

Am Beispiel der Niederlande zeigt sich daher wieder einmal, welche Konsequenzen der kulturelle Tod Gottes mit sich gebracht hat: Wo der Mensch sich anmaßt, selbst der Herr über Leben und Tod zu sein, macht er sich in Wahrheit nur zum Diener des Todes und der Trostlosigkeit.

 

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Kommentare

Kommentar
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Andreas Graf
Vor 5 Monate 4 Wochen

Der Verlust der Transzendenz bedeutet vor allem eines, das fehlende Bewusstsein der Existenz der Hölle. Das ist das eigentliche Grauen, das die Menschen vor einer solchen Tat abhalten würde. Sie fallen anstatt dessen wie die Schneeflocken dort hinein. Zoraya ter Beek sollte es einmal mit Gebet versuchen. Das könnte ihre Ängste nehmen. Ängste kommen immer vom satanischen bösen Feind, der nur mit geistlichen Waffen bekämpft werden kann.

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Andreas Graf
Vor 5 Monate 4 Wochen

Der Verlust der Transzendenz bedeutet vor allem eines, das fehlende Bewusstsein der Existenz der Hölle. Das ist das eigentliche Grauen, das die Menschen vor einer solchen Tat abhalten würde. Sie fallen anstatt dessen wie die Schneeflocken dort hinein. Zoraya ter Beek sollte es einmal mit Gebet versuchen. Das könnte ihre Ängste nehmen. Ängste kommen immer vom satanischen bösen Feind, der nur mit geistlichen Waffen bekämpft werden kann.