Direkt zum Inhalt
Kolumne „Küchenlatein“

Kuchen – aber aus Sushi

In den vergangenen Monaten bin ich mehrfach gefragt worden, wann denn endlich bei „Küchenlatein“ Zeit für ein Dessert sei. Die kurze Antwort lautet: heute! Aber leider mit ein paar Abstrichen. Der geneigte Leser wird schon verstanden haben, dass ich als Belgier sowohl Gourmand als auch Gourmet bin; in einem Bereich aber fällt es mir überaus einfach, asketisch zu bleiben: Bei der Nachspeise. 

Nun ließen sich an dieser Stelle viele Betrachtungen darüber anführen, inwieweit die Sucht nach Süßem nicht eine zutiefst germanisch-slawische Angelegenheit ist, die mit der Vorliebe der Romanen (zu denen ich mich in diesem Falle gerne selber zähle) für Salziges kontrastiert; aber ethnokulturelle Verallgemeinerungen sind auch im Küchenbereich eine knifflige Sache, daher wollen wir es hier nur bei der Andeutung lassen. 

Immerhin habe ich das Glück, dass zumindest meine Söhne bisher eher nach dem Vater ausschlagen und, vor die Wahl gestellt, anstelle des Desserts lieber für eine zusätzliche Vorspeise optieren (die offensichtliche Ausnahme ist hier natürlich die Käseplatte).

Kuchen zum Geburtstag, was sonst?

Daher stellen mich die Kindergeburtstage immer vor die unangenehme Situation, meine Kochkünste im Interesse der Eingeladenen in einem Bereich unter Beweis zu stellen, der wirklich nicht der meine ist: Kuchen. Den idealen Ausweg aus diesem Dilemma fand dann einer meiner Söhne beim Scrollen durchs Netz, und das entsprechende Rezept soll daher auch im Zentrum dieses kleinen Texts stehen: Wozu Kuchen aus Mehl, Butter, Eiern und Zucker backen, wenn auch Reis, Fisch, Nori-Blätter und Avocados zur Verfügung stehen? Damit sind eigentlich die wichtigsten Zutaten schon umrissen; und die Zubereitung ist ebenfalls sehr einfach.

Selbstverständlich koche man zunächst den Reis, bis er die entsprechende, Sushi-gemäße Konsistenz erlangt hat. Das geht wahrscheinlichsten am einfachsten mit einem Reiskocher; wer aber, wie ich, solche Küchengeräte nicht besitzt, kann selbstverständlich auch die übliche Technik kochenden Wassers (ohne Salz) nutzen.

Zutaten für Sushi-Kuchen: Beim Fisch kommt es besonders auf die Qualität an

Am besten geeignet ist zudem der kurz- bzw. rundkörnige sogenannte Sushi-Reis; alle anderen Reissorten lassen sich aber entgegen einem zähen Vorurteil bei entsprechend langem Kochen genauso gut zu „Klebreis“ machen. Sobald der Reis die richtige Konsistenz erlangt hat, sollte man ihn etwas abkühlen lassen und dann mit den weiteren Zutaten mischen: Viel Reisessig, etwas Zucker und wenig Salz, wobei man diese drei Zutaten idealerweise vorher zusammen in einem Topf etwas erwärmt, damit sie sich besser untereinander verbinden und in den Reis eingearbeitet werden können. Alternativ wird in vielen Geschäften auch sogenannter „Sushi-Essig“ verkauft, in dem diese Zutaten bereits optimal gemischt sind. Damit ist der erste Part schon erledigt, und es geht ans Aufschichten – und ans Hantieren mit viel frischem Fisch.

Woher kommt das japanische Interesse für Gemüse und Fisch?

Wieso finden wir in der japanischen Küche eigentlich ein solches Interesse für Gemüse und Fisch? Die Gründe zumindest für Letzteres liegen nicht nur an der geographischen Situation Japans: Auch andere Länder besitzen einen weiten Küstenzugang, ohne sich im mindesten für Fisch zu interessieren. 

Die archaischen Griechen etwa ernährten sich weitgehend von Fleisch anstatt Fisch, und auch Polen, trotz knapp 500 Kilometer Ostseeküste, hat bedauerlicherweise so gut wie keinerlei Interesse an halbwegs zivilisierten Fischspeisen. Die Gründe für die Besonderheiten der japanischen Küche liegen im religiösen Bereich: Schon 675, gerade einmal 100 Jahre nach dem Import des Buddhismus nach Japan, wurde das erste Gesetz erlassen, welches den Konsum von Fleisch unter Verbot stellte; und wenn dieses Verbot auch zur Gänze nie durchzusetzen war, ernährten sich die meisten Japaner bis zur Ankunft der Europäer tatsächlich fast vollständig fleischlos; selbst auf Milchprodukte wurde (wie so oft in Asien) verzichtet, so dass die meisten Japaner (wie auch Chinesen) bis heute eine tiefe Aversion gegen Käse, Milch oder Sahne empfinden.

 

Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge.

 

Es heißt sogar, dass der Verzicht auf Fleisch und Milch in Japan eine solche geschmackliche Aversion gegen den Geschmack von Fett schuf, dass nicht einmal pflanzliches Öl zum Kochen verwendet wurde. Kein Wunder also, dass der (als Fisch geltende) Wal eine solche Bedeutung für die nationale Ernährung Japans besaß und immer noch besitzt: Bis weit ins 20. Jahrhundert war er der wichtigste und teils einzige Proteinlieferant für die gesamte Nation.

Ihr Talent ist gefordert

Das Aufschichten: Zu diesem Zweck ist der Besitz einer möglichst glatten und hohen Kuchenform unerlässlich, am besten aus sehr elastischem Silikon oder einem ähnlichen Material. Hier gilt es zunächst, den Boden der Form mit Sushi-Reis auszulegen – dies wird später, wenn die Form umgedreht wird, die Oberseite werden. 

Diese erste Schicht sollte dann mit einem Nori-Algen-Blatt ausgelegt werden, das beidseitig etwas zu befeuchten ist, damit es sowohl nach unten als auch nach oben gut anklebt. Nun kommt der appetitliche Part: Die durch die Nori-Algen bedeckte Fläche muss jetzt ausgelegt werden mit einer Schicht Fisch und einer weiteren Schicht Avocado. Während die Avocados vor allem Herausforderungen an Ihr Talent stellen, die Frucht entsprechend in kleine Streifen zu zerteilen und diese möglichst flächenfüllend zu verteilen, geht es beim Fisch wesentlich um die Qualität. 

Der im Westen übliche Standard ist natürlich roher Lachs, aber je nach Verfügbarkeit und Geschmack kann hier beliebig variiert werden. Auch ist Lachs in Sashimi-Qualität nicht immer überall gleichermaßen einfach zu finden, so dass ich mich hier in Warschau – leider – meistens mit hochwertigem, leicht geräuchertem Lachs zufriedengeben muss. Nachdem besagte Fisch-Avocado-Schicht aufgelegt wurde, folgt ein weiteres Nori-Blatt, und darauf wieder eine Schicht Reis – und eigentlich können Sie diese Schritte nun so lange wiederholen, bis der „Kuchen“ die von Ihnen angestrebte Höhe erreicht habt (wobei Sie übrigens auch je nach Schicht andere Fischsorten benutzen können und auch die Avocados gelegentlich durch fein geschnittene Gurken ersetzen können). 

Aber Achtung: Je höher der Sushi-Kuchen wird, desto schwieriger wird es später werden, ihn entsprechend sauber in Kuchenstücke zu zerschneiden, ohne dass diese zerbröckeln. Auch deshalb ist es sehr wichtig, dass der Reis gut klebt und die Nori-Blätter gut befeuchtet sind.

Beim Aufschichten ist eine möglichst glatte und hohe Kuchenform unerlässlich

Aus Sushi einen Kuchen machen, das mag für kulturelle Puristen auf den ersten Blick etwas barbarisch sein – und ist es wahrscheinlich auch. Aber die Japaner selbst wären wohl die letzten, die solche Urteile fällen würden, sind sie doch ihrerseits nicht nur notorisch für westliche Einflüsse offen, sondern auch Spezialisten für die scheinbar absurdesten Geschmackskombinationen. 

Japans Faszination für den Westen

Man denke hier nur an das berühmt-berüchtigte japanische Eis mit Hamburger-Geschmack. Woher also diese Faszination für den Westen und, zumindest teilweise, seine Küche? Japans Kultur war seit dem 1. Jahrtausend fast vollständig von der chinesischen abhängig: Was auch immer in das Inselreich gelangte – Schrift, Verwaltung, Religion, Kleidung, Kunst, Philosophie –, musste zuerst durch den Filter des Reichs der Mitte gelangen, und es ist eigentlich erstaunlich, dass Japan trotz dieser jahrtausendelangen, völlig einseitigen Prägung doch immer ein gewisses Bewusstsein seiner Eigenheiten behalten hat und sich gerade in Zeiten der Krise auf diese berufen konnte. 

Dies wird vor allem im 19. Jh. deutlich: Die Ankunft der Europäer, die man bis daher durch strikte Abschottungspolitik weitgehend ausgeschlossen hatte, stellte die bisherigen kulturellen Rahmenbedingungen Japans völlig infrage und bewirkte eine radikale Revolution, die aber im Gegensatz zu vielen anderen Ländern freiwillig und bewusst gesteuert von der eigenen Elite durchgesetzt und nicht vom Westen „aufgezwungen“ wurde. 

Ebenso rasch, wie man sich vorher in Kleidung, Bildung, Gesetzgebung, Glauben oder Technik immer wieder ganz an China angelehnt hatte, passte man sich nun ebenso radikal an den Westen an: Die Geburtsstunde der „Meiji-Reform“. Auch das religiös-philosophische Gerüst des bisherigen Staates wurde nun als veraltet betrachtet und somit eben auch kulinarisch eine wahre Revolution in Gang gesetzt: Der Kaiser höchstpersönlich förderte seit 1873 den Verzehr von Rindfleisch, nachdem man das Interesse der Angelsachsen an Steak und Corned Beef als Grundlage männlicher Ernährung kennengelernt hatte. 

So wurden überall im Land Schlachthäuser eingerichtet und die Fundamente für eigene Schlachttierzucht gelegt. Man denke an das berühmte Kobe-Rind. Nur Schweinefleisch, auf dem chinesischen Kontinent seit Ewigkeiten ein absoluter Standard, wurde in Japan erst seit den 1930er Jahren verbreitet und ist bis heute nicht wirklich heimisch geworden.

Bitte traditionell servieren

Doch zurück zu unserer eigenen Form von „cultural appropriation“: Ist die Kuchenform gut befüllt, sollte das Ganze sehr vorsichtig umgedreht und die Form entfernt werden. Falls Sie bei der Zubereitung immer gut darauf geachtet haben, die Form immer wieder bis ganz zum Rand zu befüllen, alles immer wieder so kompakt wie möglich zu gestalten und die verschiedenen Schichten entsprechend zu befeuchten, sollte nunmehr eine Art hübscher weißlicher Baumkuchen vor Ihnen stehen. 

Nur die Oberfläche – die ursprüngliche Basis aus Reis – sieht noch entsprechend öde aus; sie ist nun je nach Geschmack als wichtigste Augenweide zu dekorieren. Lachstreifen, Avocado-Stückchen, dazu vielleicht Sesamkörner, Algenflocken, Fischeier oder Sprossen: Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Damit ist das Rezept eigentlich auch schon beendet; den kniffligsten Teil – das Ganze so zu zerteilen, dass hübsche kuchenartige Stücke dabei herauskommen, überlasse ich Ihnen – denken Sie jedenfalls an ein sehr scharfes Messer und reinigen Sie es immer wieder zwischen den Schnitten! 

Servieren sollten Sie den Sushi-Kuchen natürlich traditionell mit eingelegtem Ingwer, Wasabi und Sojasauce. Guten Appetit! Und vergessen Sie nicht, beim Sushi-Kuchen ein Gläschen Reiswein zu trinken.

 

Zutaten:

  • Weißer Reis („Klebreis“, „Sushi-Reis“) (etwa eine Teetasse pro Person)
  • Roher, marinierter oder geräucherter Fisch
  • Avocados (nicht zu hart)
  • Nori-Algen-Blätter
  • Sushi-Essig (oder: Reisessig, Salz und Zucker)
  • Eingelegter Ingwer, Wasabi und Sojasauce

 

› Treten Sie dem Corrigenda-Telegram- oder WhatsApp-Kanal bei und verpassen Sie keinen Artikel mehr!

9
2

Kommentare

Comment

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
Kommentar