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Kolumne „Ein bisschen besser“

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?

Als meine Frau Judith neulich Muscheln kochte, die knusprigen Pommes aus dem Ofen holte und wir mit den Freunden in der Küche so dasaßen, erzählte der eine, dass er wegen einer Zahnoperation seine Italienreise verschieben müsste. In zurückliegenden Zeiten hätten wir uns darauf angelegentlich über Sehnsuchtsorte unterhalten. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen, im dunkeln Laub die Goldorangen glühn …“ Jetzt sprachen wir über Zahnersatz.

Eine Freundin berichtet beim Muschelschlürfen anschaulich vom fälligen Knochenaufbau zum sachgemäßen Eindübeln neuer Zähne. Mein Künstlicher sitzt seit Wochen locker, weil die Schraube nicht mehr fasst. Mir wurde schwer ums Herz. Irgendwann, so sah ich es kommen, werden wir an so einem Muschelabend erst die Toten durchgehen, dann Anzeichen bei uns suchen, dass es auch bald so weit ist. Und nicht einmal der leichte Touraine, den wir meist zu Muscheln trinken, wird die trüben Gedanken vertreiben.

Wo ist meine Pille fürs Immer-Kind-Sein?

Vielleicht würde es ein bisschen besser, wenn ich die Runde verließ. Ich ging auf den Balkon, es war eine zugige Nacht, und ich hätte mich wohl verkühlen können. Ich dachte an meine Helden: Robin Hood stirbt in den Armen von Little John, nachdem er einen letzten Pfeil in den Wald geschossen hat, um dort begraben zu werden, wo er aufgeschlagen ist. Ich aber hatte gerade meinen Bogen nicht dabei.

 

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Ich dachte an Pippi Langstrumpf, die eine Pille fürs Immer-Kind-Sein eingenommen hat. Judith, wo sind meine Pillen? Judiths Tochter kam auf den Balkon. „Was sind deine Helden?“, flüsterte ich. „Die Queen Mum“, sagte sie, weil die über hundert geworden sei, das wolle sie auch.

Queen Mum, die Heldin

Die Queen Mum. Sie hatte es wirklich drauf. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Kerzen mag. Kann ich meine eigenen mitbringen?“, soll sie ihren Protokollchef bei der Besprechung ihres eigenen Begräbnisses gefragt haben. Wie eine Sternschnuppe durchzuckte mich der Gedanke: Echte Helden flirten bis zum letzten Atemzug mit dem Leben.

Ich kehrte zurück zu Muscheln und Pommes, der Touraine schmeckte leicht und frisch. Ich hob das kristallene Glas. „Wohlan Judith“, rief ich und kam zurück aufs Zitronenblühn: „Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, kennst du es wohl? Dahin! Dahin möcht’ ich mit dir, o mein’ Geliebte, ziehn!“ Es ist dann ein feuchtfröhlicher Abend geworden.

 

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