Freispruch für die Vernunft
Es ist ein Urteil, das man als kleinen Sieg der Vernunft inmitten eines pandemischen Irrsinns feiern könnte: Das Obergericht des Kantons Aargau hat einen Mann freigesprochen, der sich weigerte, im Zug eine Maske zu tragen und den Fahrkartenkontrolleuren weder seinen Personalausweis noch ein ärztliches Attest vorzeigen wollte. Der Mann hatte eine gültige Fahrkarte, verhielt sich kooperativ, bestand aber darauf, seinen Ausweis nur der Polizei zu zeigen.
Das Gericht gab ihm recht: Die Kontrolleure hatten schlicht keine rechtliche Grundlage, um ihn zur Vorlage dieser Dokumente zu zwingen. Punkt. Ende. Aus.
Doch dieser Fall ist mehr als nur eine Fußnote in der Chronik der Corona-Maßnahmen. Er ist ein Symptom für ein viel größeres Problem: die oft willkürliche und überbordende Umsetzung von Regeln, die in der Pandemie zu einem bürokratischen Monster mutierten. Und die unmittelbar in jener Zeit im Zweifelsfall von Gerichten sogar geschützt wurde. Die Maskenpflicht, einst als einfache und effektive Maßnahme gepriesen, wurde zum Spielball von Behörden, die plötzlich meinten, sie könnten sich in alle Lebensbereiche einmischen – oft ohne klare rechtliche Grundlage.
Die Bürokratie schlägt zurück
Was hier passiert ist, ist ein klassisches Beispiel für die Hybris des Staates. Die Kontrolleure, eigentlich dazu da, um Fahrscheine zu kontrollieren, verwandelten sich plötzlich in Gesundheitspolizisten. Sie forderten nicht nur den Personalausweis, sondern auch ein ärztliches Attest – Dokumente, für deren Einsicht sie schlicht keine Befugnis hatten.
Das Obergericht hat das klar festgestellt: Weder das Personenbeförderungsgesetz noch die Covid-19-Verordnung gaben ihnen das Recht, solche Dokumente einzufordern. Dass sich letztlich Richter mit dieser Frage befassen mussten, ist so tragisch wie unnötig. Denn dass es dafür keine Handhabe gibt, war schon damals bekannt und von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sogar offen bestätigt. In der Realität wurden aber sogar Leute an der nächsten Haltestelle aus dem Zug geworfen, wenn sie auf ihr Recht pochten.
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Doch wie oft wurde diese Art von Überwachung in den letzten Jahren als „normal“ akzeptiert? Wie oft haben wir uns gefragt, ob die Person, die uns im Zug oder im Supermarkt zur Maskenpflicht ermahnt, überhaupt das Recht dazu hat? Die Pandemie hat uns nicht nur Viren gebracht, sondern auch eine neue Art von bürokratischer Willkür. Plötzlich waren wir alle verdächtig, bis wir das Gegenteil bewiesen. Und wer keine Maske trug, musste sich rechtfertigen – oft vor Menschen, die dazu gar nicht befugt waren. Das Recht auf Privatsphäre, nicht nur, aber vor allem auch in medizinischen Belangen, schien nicht mehr zu gelten.
Erinnerung daran, dass die Macht an das Recht gebunden ist
Das Urteil des Aargauer Obergerichts ist daher nicht nur ein Freispruch für den Mann, sondern auch eine Erinnerung daran, dass der Staat – und seine Vertreter – keine unbegrenzte Macht haben. Es ist eine Mahnung, dass jede Maßnahme, sei sie noch so gut gemeint (wenn sie das denn war), an rechtliche Grenzen gebunden ist. Die Pandemie mag Ausnahmezustände erfordert haben, aber sie war keine Lizenz zur Willkür.
Doch genau das ist passiert. Die Maskenpflicht, einst als einfache Regel gedacht, wurde zu einem undurchsichtigen Dickicht von Ausnahmen, Attesten und Kontrollen. Wer kein Attest hatte, war verdächtig. Wer sein Attest nicht vorzeigen wollte, war unkooperativ. Und wer sich weigerte, seinen Ausweis zu zeigen, war gleich ein Störer der öffentlichen Ordnung. Dabei wurde oft vergessen, dass die Grundrechte auch in einer Pandemie nicht einfach außer Kraft gesetzt werden können.
Kein Freibrief für Willkür
Was können wir also aus diesem Urteil lernen? Zunächst einmal, dass die Pandemie keinen Freibrief für staatliche Übergriffe gibt. Die Maßnahmen, ob notwendig oder nicht, mussten immer im Rahmen des Rechts bleiben. Und das bedeutet: Keine Kontrolleure, die plötzlich Gesundheitsdokumente verlangen. Keine willkürlichen Identitätsprüfungen. Keine bürokratischen Alpträume, die am Ende mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.
Zweitens sollten wir uns fragen, wie wir in Zukunft mit solchen Krisen umgehen wollen. Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell wir bereit sind, Freiheiten aufzugeben – oft ohne zu hinterfragen, ob die Maßnahmen wirklich verhältnismäßig sind. Das betrifft nicht nur die Behörden, die sie durchgesetzt haben, sondern auch so manchen Bürger, der sich wohlfühlte in der Rolle des Denunzianten und das Vorgehen gegen „Störenfriede“ beklatschte.
Das Aargauer Urteil ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung: Es erinnert uns daran, dass auch in Ausnahmesituationen die Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden muss.
Wann haben wir aufgehört zu hinterfragen?
Am Ende bleibt die Frage: Wann haben wir aufgehört, kritisch zu hinterfragen? Wann haben wir akzeptiert, dass jeder Bahnkontrolleur plötzlich zum Gesundheitsbeamten mutieren darf? Das Urteil des Aargauer Obergerichts ist ein Weckruf. Es zeigt, dass wir nicht blindlings jede Maßnahme hinnehmen müssen – und dass es wichtig ist, die Grenzen staatlicher Macht immer im Blick zu behalten.
Die Pandemie ist vorbei, aber die Lehren daraus bleiben. Und eine der wichtigsten ist: Vernunft und Recht müssen immer über Willkür und Bürokratie siegen. Der Mann im Zug hat das verstanden. Vielleicht sollten wir das auch.
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Kommentare
Am Königssee – bei der Überfahrt im fast offenen Kahn – wollte der Kahnfahrer nicht mehr weiterfahren, wenn ich meine Maske nicht aufsetzen würde. Ich hätte es darauf ankommen lassen, hatte aber die Befürchtung, dass mich die anderen Passagiere ins Wasser schmeißen würden – so wütend wie die drauf waren. Ich war die einzige, die sich gegen diesen Irrsinn gewehrt hatte.