Wie die CDU die Politik entchristlicht hat
Vor jedem Parteitag und nach jeder Wahlniederlage wird innerparteilich und öffentlich über den Markenkern der CDU diskutiert. Vor allem im Zusammenhang mit dem Ausscheiden Angela Merkels aus der aktiven Politik kam die Frage wieder auf. Auf Bemerkungen, die CDU müsse wieder zu ihren Wurzeln zurück und konservativ werden, konterte der spätere Kurzzeit-Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat Armin Laschet schon im Februar 2018 nur: Die CDU war nie eine konservative Partei.
Inzwischen ist die CDU unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz auf der Suche nach einem Markenkern und ihrer Unverwechselbarkeit, um für den Wähler und auch die Parteimitglieder attraktiv zu bleiben bzw. zu werden.
Die Gründung der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) 1945 ist eine der wenigen Innovationen in der deutschen Parteienlandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Eine katholische Zentrumspartei wollten viele nicht mehr, auch Konrad Adenauer, der selbst bekanntlich kein Gründungsmitglied der CDU war, hatte sich entsprechend seit 1933 wiederholt in diese Richtung geäußert.
Christlich-konservativ, aber auch liberal und sozialistisch
So war die CDU zwar vielfach einer klassischen konservativ-christlichen Partei ähnlich, aber sie hatte auch liberale, soziale und sogar sozialistische Elemente, denkt man etwa an das Ahlener Programm vom 3. Februar 1947.
Ein französischer Journalist charakterisierte in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland das heterogene Erscheinungsbild der CDU/CSU: „Diese Partei ist sozialistisch und radikal in Berlin, klerikal und konservativ in Köln, kapitalistisch und reaktionär in Hamburg und gegenrevolutionär und partikularistisch in München.“
Während das katholische und das konservative Element unter dem Einfluss der rheinischen CDU mit Konrad Adenauer an der Spitze bis in die sechziger Jahre nach außen hin das Renommee der CDU bestimmte, gab es innerhalb der CDU breite Diskussionen um die Konfessionsfrage. Das ging so weit, dass man schon in den 1950er Quotenregeln nach Konfession schuf, ohne dass diese jedoch in die Statuten und Geschäftsordnungen der Partei Eingang fanden.
Konfession und Konflikt
Wenn ein Orts-, Kreis-, Landes- oder Bundesvorsitzender katholisch war, musste sein Stellvertreter Protestant sein, und umgekehrt. Die später sogenannte Frauenunion hatte von Anfang an eine Doppelspitze, nämlich eine protestantische und katholische Vorsitzende.
Entsprechend ausgeklügelt schaute man unter Konrad Adenauer auf die Zusammensetzung des Bundeskabinetts. Selbst bei der Auswahl der Beamtenschaft in den Bundesministerien wurde darauf geachtet, dass die eine oder andere Konfession im Stellenplan nicht übervorteilt wurde.
Die Konfessionsfrage war also eine innerparteiliche Konfliktlinie, die aber bis in die späten 1960er auch weite Teile der bundesdeutschen Gesellschaft prägte. Die katholischen Kreisverbände in Oldenburg und Vechta weigerten sich beispielsweise, an den protestantischen Landesverband in Hannover die satzungsgemäßen Parteigelder abzuführen.
Es gab innerhalb wie auch außerhalb der CDU irrationale Überfremdungsängste. In der Regierung seien fast nur Katholiken und an den Gesetzen in Bonn – so mit Blick auf das Elternrecht – würden sogar die Bischöfe mitwirken.
Katholiken bildeten lange eine deutliche Mehrheit
Noch 1964 waren 76 Prozent aller CDU-Mitglieder katholisch. Gleichzeitig machten die Katholiken aber nur 38 Prozent der Bevölkerung aus. Umgekehrt aber war bei den Katholiken die Kirchenbindung viel stärker als bei den Protestanten – und das gilt übrigens bis heute.
Während sich also die katholischen Bischöfe noch in den fünfziger Jahren gerne für die CDU-Mitgliedschaft ihrer Gläubigen aussprachen, war bei den Protestanten ein solches werben nicht festzustellen.
Gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass sich nur Protestanten mit Kirchenbindung überhaupt in der CDU betätigten. 1953 hatten 61 Prozent der Katholiken eine starke Kirchenbindung angegeben aber nur 18 Prozent der Protestanten. Der Parlamentspräsident Hermann Ehlers – der übrigens Protestant sein musste, weil Bundeskanzler Adenauer ja katholisch war – stellte in einem Zeitungsartikel am 10. Juli 1951 fest: Die CDU-Führung wisse davon, dass anti-katholische Ressentiments im Wesentlichen nicht bei den glaubensmäßig eher kühleren evangelischen, sondern bei den entkirchlichten Protestanten zu finden sind.
Ressentiments traten immer wieder in der Lebenswirklichkeit hervor. Liberale, konservative oder nationale Strömungen fand man eher im protestantischen Raum als im dezidiert katholisch-sozialen Lager. Die Sozialpolitik blieb also Katholiken wie Jakob Kaiser oder Franz-Josef Würmeling vorbehalten, die im protestantischen Raum zu Feindbildern avancierten oder Spott ernteten.
Ein Kardinal als katholisches Feigenblatt
Die Westbindung und die Anlehnung an Frankreich wurden als Verrat an den protestantischen Osten und das Nachkriegs-Europa als ein katholisches Klein-Europa gebrandmarkt. Auch die Machtverlagerung von Berlin nach Bonn 1949 wurde als eine konfessionelle Verschiebung bewertet, wie übrigens umgekehrt mit dem Hauptstadtbeschluss vom 20. Juni 1991 nun der Vorwurf aus katholischen Kreisen kam, die Bundesrepublik Deutschland werde protestantischer oder gar gleich atheistisch.
Angesichts dieser latenten konfessionellen Streitigkeiten stellt sich die Frage, ob es klug war, dass der Kölner Kardinal Josef Frings im November 1948 Mitglied der CDU wurde und somit die vermeintliche katholische Bindung unnötig und fälschlich unterstrich. Vertreter der katholischen Kirche warben nur deswegen für die CDU, weil es bei vielen Katholiken Vorbehalte gegen eine vermeintlich ökumenische Partei gab.
Mit bischöflichen Segen konnte das Kirchenvolk Mitglied der „christlichen Union“ werden, statt in die katholische Bayernpartei, dem Widersacher der CSU, oder in die in Westfalen wiedergegründete katholische Zentrumspartei einzutreten.
Neben der Quotenregelung hatte man den Schulterschluss zwischen Katholiken und Protestanten in der CDU aktiv zu begünstigen gesucht mit der Parole „Rom oder Moskau“, als andere skandierten „Lieber tot als rot“. Damit war plakativ zum Ausdruck gebracht worden, dass man sich lieber mit den Katholiken (Rom beziehungsweise Vatikan) verbinden sollte, statt der Übernahme Deutschlands durch Moskaus Kommunisten und deren „Fünfter Kolone“ Vorschub zu leisten.
Christlich als Alibi
So wie die CDU seit den 1950er bemüht war, die Benennung der Konfession möglichst zu vermeiden und konfessionelle Unterschiede zu negieren, so wurde gleichzeitig der Einfluss beider Konfessionen aus dem gesellschaftlichen Leben rausgedrängt.
Mit dem Verzicht auf konfessionelle Unterscheidung betrieb also ausgerechnet die „Christliche Union“ eine Marginalisierung der Religionszugehörigkeit, was zu einer zunehmenden Entchristlichung der Politik in der Bundesrepublik Deutschland führte. Religion wurde in Deutschland zur Privatsache.
Das einende Element der evangelischen und katholischen Christen und damit auch der Markenkern der CDU war ihr entschiedener Antikommunismus. Das neuerdings propagierte „christliche Menschenbild“ hat bis heute eine wichtige Alibifunktion und soll katholisch-konservative Wähler wie Parteimitglieder gewinnen.
Deswegen lehnten 2022 gleichermaßen sowohl liberale wie konservative Parteistrategen aus der CDU den Vorschlag der Programkommission unter Leitung des Mainzer Historikers Andreas Rödder reflexartig ab, über eine Streichung des „C“ aus dem Namen offen nachzudenken.
Wenn das oben genannte Diktum von Hermann Ehlers über den Zusammenhang von Kirchenbindung und Parteimitgliedschaft von 1951 noch heute Gültigkeit haben sollte, dann ist die Frage nach dem „C“ in der Partei grundlegend zu diskutieren, angesichts des starken Rückgangs der Kirchenmitglieder und ebenso der Kirchenbindung auch bei den Katholiken bis unter zehn Prozent. Der Lockdown in Folge der Covid-19-Pandemie hat die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen erneut dramatisch zurückgedrängt.
Die Reduktion auf Antikommunismus erweist sich als fatal
Die CDU stand seit ihrer Gründung für eine Überwindung der konfessionellen Spaltung der Gesellschaft und bekämpfte vehement den Kommunismus. In vielen anderen inhaltlichen Fragen aber ertrug die CDU immer gegensätzliche Auffassungen. Beispielhaft erkennt man es an der Europapolitik; hier konnte sich die CDU sowohl Atlantiker wie auch Gaullisten leisten.
Die Konfessionszugehörigkeit in einer Christlichen Union zurückzudrängen, mag in den ersten Jahrzehnten ihrer Geschichte noch vernünftig oder angemessen gewesen sein. Aber den Markenkern auf den Antikommunismus zu beschränken, erwies sich spätestens als fatal, als mit der Deutschen Einigung 1990 auch das Schreckgespenst des Kommunismus plötzlich aus den Köpfen verschwunden war. Der CDU fehlte das Feindbild.
Auf der Suche nach ihrem Markenkern reicht es nicht, wenn die CDU sich an einer konservativen Partei wie zum Beispiel der AfD abarbeitet oder sozialdemokratische und grüne Themen adaptiert. Unter Bundeskanzler Helmut Kohl, der den ersten Umweltminister in Deutschland berief, hat es noch geklappt. Angela Merkel hat es auch den schnellen Sieg bereitet, als sie den Ausstieg aus der Kernenergie verkündet.
Machterhalt ohne Inhalte
So entstand bei manchem der Eindruck, die CDU sei immer nur eine Regierungspartei, also eine Partei der Macht, gewesen; sie habe die Inhalte ihrer Politik immer dem Machterhalt untergeordnet und gegebenenfalls ihre Parteiprogramme umgeschrieben. Insbesondere unter Bundeskanzlerin Angela Merkel mag sich ein solcher Eindruck verfestigt haben.
Dies ging so lange gut, solange die SPD die klassische Arbeiterpartei war. Auch die Grünen waren als eine ökologische Interessenspartei lange Zeit kein wirklicher Herausforderer der breit aufgestellten „Volkspartei“ CDU. Je stärker aber auch auf Betreiben der CDU Zielvorgaben der Grünen – wie zum Beispiel beim Klimawandel – zu gesellschaftlichen Kernthemen wurden, machte sich auch bei dem Wähler die Meinung breit, dann doch gleich das Original zu wählen, und zwar: Grün.
Der CDU fehlt es heute an Rückgrat und an Köpfen!
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