Als Katholiken und Protestanten lernten, nebeneinander zu leben
Der Dreißigjährige Krieg und der Friedensschluss, der ihn zu Münster und Osnabrück 1648 beendete, werden oft als gravierende Einschnitte in der Geschichte Deutschlands und Europas angesehen. An die Stelle einer Vielzahl von Herrschaftsträgern mit je unterschiedlichem Status trat in Europa – so lautet eine traditionelle und immer noch einflussreiche Interpretation – ein System nach außen und innen souveräner, gleichberechtigter Staaten.
Das Heilige Römische Reich deutscher Nation hingegen erwies sich als nicht modernisierbar und geriet auf einen Niedergangspfad, der schließlich zum Untergang des Reiches rund 150 Jahre später führte.
Eine problematische Perspektive
Schließlich wird die Auseinandersetzung oft als der letzte große Religionskrieg in Europa gesehen. Dass es überhaupt gelang, Gewalt und Zerstörung zu beenden, sei vor allem der Säkularisierung von Politik und Kultur zu verdanken, die langfristig den religiösen Glauben zu einer reinen Privatangelegenheit werden ließ. Aber ist das so?
Heute werden alle diese Thesen mit einer gewissen Skepsis gesehen. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation war auch schon vor 1618 nicht auf dem Weg gewesen, ein moderner Staat zu werden. Überdies gelang es im späten 17. Jahrhundert, die flexible Rechts- und Friedensordnung des Reiches erneut zu stabilisieren; und was das europäische Mächtesystem betraf, so vermochten Akteure mit eingeschränkter Souveränität wie die deutschen Reichsfürsten hier auch nach 1648 weiter eine Rolle zu spielen.
Wie aber steht es mit dem Verhältnis von Religion und Politik? Die konfessionellen Gegensätze, die im Vorfeld des Krieges die politischen Spannungen verschärften, werden oft als Ausdruck eines wachsenden konfessionellen Fundamentalismus gesehen, der jeden Kompromiss unmöglich machte. Eine solche Perspektive ist jedoch problematisch.
Immerhin war es Heinrich IV. von Frankreich gelungen, die Religionskriege in seinem Land 1598 zu beenden, 1604 hatte Spanien mit dem protestantischen England Frieden geschlossen, und selbst die Kampfhandlungen zwischen der Republik der Niederlande und Spanien wurden 1609 für zwölf Jahre eingestellt.
Im Reich konnte kein Vertrauen zwischen den Konfessionen aufkommen
Blickt man auf Europa insgesamt, dann hatten sich viele politische Akteure und sogar das Papsttum bis auf weiteres mit der Konfessionsspaltung abgefunden und waren bereit, sich auf einen Modus Vivendi mit dem religiösen Gegner einzulassen, ohne deshalb den grundsätzlichen Anspruch auf die universale Geltung der eigenen Wahrheit aufzugeben.
Sicher, im Reich war die Situation weniger günstig, da der 1555 unterzeichnete Religionsfrieden zunehmend brüchig wurde und sich die Spannungen im Reich mit denen in den Habsburgischen Landen, besonders in Böhmen und Mähren, überlagerten (der Kaiser herrschte zugleich als Landesherr über Böhmen, Schlesien und das Erzherzogtum Österreich sowie weitere Territorien).
Dennoch, auch im Reich spitzte sich der Konflikt vor 1618 weniger zu, weil auf beiden Seiten die Scharfmacher dominierten, die unbedingt die bewaffnete Konfrontation suchten, sondern weil es an Vertrauen fehlte.
Als Calvinisten die katholischen Geistlichen Baalspriester nannten
Wie sollte ein Katholik einem Calvinisten vertrauen, der ihm erklärte, dass die Messe eine „vermaledeite Abgötterei“ (so der Heidelberger Katechismus) war, die katholischen Geistlichen „Baalspriester“ und der Papst womöglich der Antichrist?
Aber auch umgekehrt war das Misstrauen groß, denn man befürchtete, im Zweifelsfall würde der Papst jedes Zugeständnis an Protestanten als rein provisorisch betrachten, um denjenigen, die sich nicht an feierliche Eide halten wollten, bei nächster Gelegenheit einen Dispens zu erteilen nach dem Prinzip: Häretikern muss man das Wort nicht halten.
Es trat ein Weiteres hinzu: Auch wer für Mäßigung und relative Toleranz eintrat, tat das oft im Namen einer Friedensordnung, die diejenigen ausschloss, die vermeintlich zu radikal waren. Aus der Sicht vieler Katholiken im Reich waren das etwa die Calvinisten, aus der Sicht einer Mehrheit von Protestanten jene Katholiken, die stark von Jesuiten beeinflusst wurden oder allzu papsthörig waren.
Ruf nach Toleranz war eine Waffe
Wie in den heutigen Kulturkriegen konnte der Ruf nach Mäßigung und Toleranz somit durchaus auch eine Waffe sein, mit der man hoffte, bestimmte Gegner zum Schweigen zu bringen, weil sie angeblich nicht friedensfähig und zu intolerant waren. Auf dieser Basis dann zu einem gemeinsamen Verständnis von Frieden zu gelangen, war schwierig, am Ende 1618 dann unmöglich.
Allerdings darf nicht vergessen werden: So katastrophal die Zerstörungen durch den Dreißigjährigen Krieg waren, der Gesprächsfaden zwischen den gegnerischen Parteien riss auch nach Ausbruch der Kämpfe nie wirklich ab. Das zeigen auch die Selbstzeugnisse der Epoche wie die Tagebücher des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg (wohl die umfangreichste derartige Quelle für diese Epoche).
Der Adlige hatte als junger Mann 1620 in der Schlacht am Weißen Berg gegen die kaiserlichen Truppen gekämpft und war überdies der Sohn des Mannes, der als Architekt der kurpfälzischen Politik durch den Griff nach der böhmischen Krone mehr als andere dazu beigetragen hatte, den Kriegsausbruch unvermeidlich werden zu lassen.
Reichspatriotismus und deutsches Nationalbewusstsein
Er wurde jedoch nach einem Kniefall vom Kaiser begnadigt und war fortan, obwohl Calvinist, durchweg loyal gegenüber dem Reichsoberhaupt. Das mag ein Einzelfall sein, aber anders als in den Französischen Religionskriegen war blanker konfessioneller Hass, der zu regelrechten Massakern unter Beteiligung von Zivilisten führte, in Deutschland nach 1618 die Ausnahme.
Auch die deutschen Protestanten, die Lutheraner freilich eher als die Reformierten, hielten durchweg an einem gewissen Reichspatriotismus fest, der sich auch mit einer grundsätzlichen Loyalität gegenüber dem Kaiser verband, die freilich nicht bedingungslos war.
Von daher kann man, so gerne das auch sonst geleugnet wird, für das frühe 17. Jahrhundert bereits von einem deutschen Nationalbewusstsein sprechen, auch wenn die Nation nur eine politische Identifikationsoption neben anderen (die Konfession, der Stand oder das eigene Territorium etwa) war.
Fundamente für den Frieden waren schon vor 1618 gelegt
Generell hatten die Lutheraner freilich eine stärkere Tendenz, die Idee des Religionskrieges grundsätzlich abzulehnen als Katholiken und Reformierte, weil man das Evangelium nicht mit dem Schwert ausbreiten dürfe. Auf katholischer Seite unterschied man in der Regel zwischen der „Ordnung der Gnade“, also der spirituellen Welt, und der „Ordnung der Natur“.
Ein Herrscher musste somit nicht rechtgläubig sein, um legitime Autorität zu beanspruchen, und es war möglich, Kirche und weltliche Ordnung zumindest gedanklich voneinander zu trennen, namentlich in den zwischenstaatlichen Beziehungen.
Die theoretischen Fundamente für den Frieden, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, waren daher zum Teil schon vor 1618 gelegt worden, lange vor einer Zurückdrängung des Einflusses der Kirchen durch die Aufklärung, auch wenn die ständige Ausweitung des Konfliktes zwischen 1618 und 1635 (das Jahr, in dem Frankreich offiziell in den Krieg eintrat) eine umfassende Friedensregelung immer wieder unmöglich machte. Wenn sie am Ende doch erreicht wurde, war das wesentlich auch der vollständigen Erschöpfung der meisten Kriegsparteien zuzuschreiben.
Mit Streitschriften statt mit der Streitaxt
Radikal säkularisiert wurde die Politik durch den Westfälischen Frieden nicht, aber man hatte gelernt, wenn schon nicht miteinander, dann nebeneinander zu leben und je nach Gelegenheit die konfessionellen Differenzen auszuklammern. Gerade im Reich blieben die Vorbehalte gegen die jeweils andere Konfession bestehen.
Doch zu den Waffen griff man deshalb nicht mehr; man bekämpfte sich durch Streitschriften, durch Prozesse vor den Reichsgerichten, vielleicht auch durch Repressalien gegen konfessionelle Minderheiten im eigenen Land, aber eben nicht mehr im offenen Krieg.
Heute taucht ein vormodernes Rechtsverständnis wieder auf
Kann die mehrkonfessionelle Friedensordnung des Reiches deshalb als Vorbild dienen für den Pluralismus moderner liberaler Demokratien, am Ende sogar für eine multikulturelle Gesellschaft? Das gilt nur mit den größten Einschränkungen, denn der Frieden von 1648 garantierte vor allem korporative, nicht individuelle Rechte.
Und auch wenn es in der Gegenwart sicher starke Kräfte gibt, die zu diesem vorliberalen und vormodernen Verständnis von Freiheit und Privilegien gerne zurückkehren würden, muss man bezweifeln, dass dies mit einem Regierungssystem, das anders als im 17. Jahrhundert demokratisch ist, kompatibel ist.
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