Aus drei mach null
Ende des zurückliegenden Monats ist der belgische Kernreaktor Tihange 2 an der Maas planmäßig nach vorangegangenem Regierungsbeschluss außer Betrieb genommen worden. Proteste von Kernkraftfreunden haben nichts genützt: 1.000 MW gesicherte Leistung ist vom Netz gegangen, gesichert, weil sie zu jedem Zeitpunkt garantiert war. Das war etwa so viel, wie 500 bis 1.000 Windkraftanlagen (WKA) an ungesicherter Nennleistung abgeben können (vgl. bei EnBW Angaben zu durchschnittlicher Leistung), ungesichert deshalb, weil bei Flauten keine Arbeit verrichtet, kein Strom erzeugt und daher nichts eingespeist wird.
Vor der Abschaltung des Reaktors Doel 3 im September 2022 sicherten Belgiens Kernkraftwerke (KKW) rund die Hälfte des landesweiten Strombedarfs. So sah Versorgungssicherheit aus. Das soll nun auch bei unserem Nachbarn nicht mehr sein.
Nach der deutschen Debatte um verlängerte Restlaufzeiten beschloss der Bundestag im November den befristeten Streckbetrieb der drei letzten verbliebenen KKW, bevor mit der Kernenergie in Deutschland endgültig Schluss sein soll. Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 laufen ausschließlich mit den in den jeweiligen Anlagen noch vorhandenen Brennelementen bis längstens 15. April weiter.
Block 2 von Neckarwestheim speist 1.310 MW, Emsland 1.335 MW gesicherte Leistung ins Stromnetz ein. Der Kraftwerksblock Isar 2, ein Druckwasserreaktor, gibt 1.410 MW gesicherte Leistung ins Netz. Er ist damit der leistungsstärkste deutsche Reaktor und gehörte bisher zu den weltweit drei größten Kernkraftwerken nach ihrer Nennleistung – der Stolz deutscher Ingenieurskunst.
Was Deutschland sich leistet
Diese drei letzten heute noch verbliebenen KKW erzeugten 2021 netto 32.000 GWh (32 TWh) Strom und speisten ihn verlässlich ins Netz ein (Bruttostromerzeugung 34.500 GWh, vgl. Statista)
Auch auf diese zuverlässig zur Verfügung gestellte Leistung verzichtet Deutschland schon bald, „obwohl niemandem klar ist, was sich am 16. April qualitativ und quantitativ in unserer Stromversorgung ändern wird“, wie die Kernkraftexpertin und Buchautorin Anna Veronika Wendland hier kommentierte. Aus drei mach null. Hauptsache Schluss mit Atom.
Ende 2021 wurden schon einmal 4.058 MW netto stillgelegt: mit der Abschaltung der KKW Brokdorf (1.410 MW), Grundremmingen C (1.288 MW) und Grohnde (1.360 MW).
Dazu kommen nicht mehr vorhandene 11.000 MW brutto von Kohlekraftwerken, die seit 2017 aufgegeben wurden (Angaben zur Kohle von Fritz Vahrenholt). Das leistet sich Deutschland.
Aber können wir uns das leisten?
Die seit November 2021 amtierende Ampel-Koalition treibt den Ausbau der „Erneuerbaren“ Energien voran. Photovoltaik und Windkraft gelten als Säulen der Energiewende. Eben erst am 1. Februar war das „Wind-an-Land“-Gesetz in Kraft getreten, das die Bundesländer verpflichtet, bis 2032 zwei Prozent der Fläche für Windkraftanlagen auszuweisen.
Bei den Erneuerbaren macht Biomasse fast die Hälfte aus
Doch diese Säulen der Energiewende sind äußerst schmal. Ein Blick auf die nüchternen Zahlen: Der deutsche Primärenergieverbrauch – das umfasst Wärme, Verkehr, Industrieverbrauch und zu einem Fünftel elektrischen Strom – betrug 2021 3.387 TWh. Die „Erneuerbaren“ Energieträger lieferten dazu trotz Milliardensubventionen nur einen Beitrag von 16,1 Prozent. Darunter, neben Müllverbrennung, Deponiegas und Wasserkraft, auch die Biomassekraftwerke mit 45 Prozent: Sie verfeuern zumeist schlicht einfach Holz. Nahm die Biomasse also den Löwenanteil unter den Erneuerbaren ein und stellte 7,3 Prozent des Primärenergiebedarfs bereit, so kamen Windkraft und Photovoltaik zusammen bloß auf 5,1 Prozent. Selbst nach Zubau: Auf diese volatilen Erzeuger soll sich künftig eine Volkswirtschaft stützen?
Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der Deutschen befürworten indes, die Kernkraft weiter zu nutzen, wie eine repräsentative Umfrage (s. Seite 5) der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) unter Wahlberechtigten zutage förderte; 28 Prozent davon können sich vorstellen, dass die Kernenergie sogar mehr genutzt wird als heute. Ein erstaunlicher hoher Wert, wenn man die jahrzehntelange Angstmache vor der Kernkraft berücksichtigt. Allerdings zielte die Frage auf die geeignete Brückentechnologie ab, „bis die erneuerbaren Energien den Energiebedarf decken“.
„Bis die erneuerbaren Energien den Energiebedarf decken“: Das ist das Mantra der Bundesregierung. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin kam 2021 zu dem Ergebnis, dass das für die gesamte Energienachfrage möglich ist, und zwar nicht irgendwann, sondern in zehn bis 15 Jahren.
„Eine physikalische Unmöglichkeit“
Corrigenda rief einen Ingenieur an und fragte, ob das geht. Detlef Ahlborn ist angewandter Mathematiker, Unternehmer im Maschinenbau und beschäftigt sich seit Jahren mit Problemen der Energiewende. „Fossile Energien zu sparen ist ja nicht dumm. Aber dass die Erneuerbaren den gesamten Energiebedarf decken, ist eine physikalische Unmöglichkeit.“ Seine Freizeit bringt Ahlborn als Fachbereichsleiter Technologie in den windkraftkritischen Dachverband Vernunftkraft ein, dessen Vize er ist. Er sei kein Gegner der Energiewende, sagt er, „der größte Gegner der Energiewende ist die Physik“.
„Die sicher zur Verfügung stehende Leistung der Windkraft- und Photovoltaikanlagen liegt bei 0 MW, das lässt sich mathematisch beweisen.“ Windenergie- und Photovoltaikanlagen, bedingt durch Dunkelheit, sonnenarme Zeiten, Schwachwindphasen und Flauten, liefern „Zufallsstrom“, der nicht steuerbar ist.
Die Volatilen können prinzipiell keine Balance zwischen Stromnachfrage und Stromproduktion gewährleisten. „Wir brauchen immer ein hundertprozentiges Ersatzsystem von grund- und regellastfähigen Großkraftwerken“, damit man die Netzstabilität zu jedem Zeitpunkt absichern könne, erklärt der Ingenieur. Nur konventionelle Großkraftwerke lieferten den für die Netzstabilität unerlässlichen Regelstrom. „Eine Mindestanzahl muss zwingend immer am Netz sein.“
Strom ohne Nachfrage und Flauten ohne Sockel
Mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Zubau an WKA – ihre Zahl soll mehr als verdoppelt werden – wird das Problem sehenden Auges verschärft. Die Einspeisung durch höhere Kapazitäten in der Fläche wird nicht etwa gleichmäßiger; vielmehr nehmen die Stromspitzen, die kein Verbraucher anfordert, zu, und die Flauten ohne Sockel mit Einspeisung nahe 0 bleiben erhalten, weil 2 mal 0 genauso null ergibt wie 1 mal 0: Gleich, ob hundert oder zweihundert WKA sich nach dem Wind recken, wenn er nicht weht, stehen sie alle still.
Die Flatterhaftigkeit des Zufallsstroms aus Wind und Solar aber „stört die Netzstabilität, immer mehr Redispatchmaßnahmen sind nötig. Hier muss außerplanmäßig Kraftwerksleistung zu- oder weggeschaltet werden, um die Stabilität des Netzes sicherzustellen“, verdeutlicht Ahlborn gegenüber Corrigenda. Die Unordnung im Netz nimmt mit jeder WKA zu.
Deutschland ist jedoch gerade dabei, die gesichert verfügbare Kraftwerksleistung zu reduzieren und die Windkraft noch stärker auszubauen. Wie soll das gehen?
Installierte Leistungen am Bedarf vorbei
Wie sehr die Windkraft- und Photovoltaikanlagen am Bedarf vorbeigeplant und errichtet werden, enthüllt ein Blick auf den deutschen Stromverbrauch: Obschon der Brutto-Verbrauch in den letzten gut zwanzig Jahren um die Marke von 600 Terawattstunden schwankte und seit 2012 darunterliegt und rückläufig ist, hat sich die installierte deutsche Kraftwerkskapazität beinahe verdoppelt (2000: 121 GW, 2022: 230; Quellen: BDEW).
Und das allein durch den Zubau von Stromerzeugungsanlagen der Erneuerbaren, die „on top“ auf die konventionellen und die KKW kommen, die beständig ausgedünnt werden. Die garantierte Abnahme und Einspeisevergütung durch das EEG macht’s möglich. Zwischen 2012 (76,4 GW) und 2022 (146,9 GW) wuchs die installierte Leistung der „Erneuerbaren“ so annähernd um das Doppelte, im Einzelnen vor allem durch Windturbinen an Land. Wir sehen es hier oder hier oder hier bei einer Reise durch Deutschland.
Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Weht der Wind nur schwach oder gar nicht, kann diese installierte Leistung nicht in Arbeit umgesetzt werden. Das ist etwa wie ein schöner Sportwagen mit 500 PS, der an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Stunde 300 Kilometer weit hätte fahren sollen, aber dann mangels Sprit keinen Meter aus der Garage rollt. Da nützen die PS auch nichts.
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