Ohne innere Umkehr keine Zukunft
Die Deutschen bekommen konstant zu wenige Kinder. Welche gravierenden volkswirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen das für Deutschland und mittelbar für Europa hat, ist in Teil 1 unserer Reihe zur Demographie beschrieben.
Der Staat kann über verschiedenste familienpolitische Maßnahmen jungen Paaren die Entscheidung, eine Familie zu werden, erleichtern und ihnen die Furcht nehmen, beispielsweise im Einkommen zurückzufallen. So richtig viele dieser Anreize im Einzelnen sind, sind Zweifel an ihrer durchgreifenden Wirksamkeit angebracht: Ökonomische Hilfen flankieren den Kinderwunsch, rufen ihn aber nicht hervor. Meistens sorgen finanzielle Anreize dafür, dass vorhandene Nachwuchspläne bloß vorgezogen werden. Eine nachhaltige Wende „hin zum Leben“ werden sie nicht bewirken.
Denn der Wille ist entscheidend! Wenn ein Mensch etwas wirklich will, dann tut er es auch. Allen Widerständen und Unwägbarkeiten zum Trotz. Es geht hier nicht um ein vages „Ich würde gerne“, sondern das beherzte „Ich will“. Und wenn er etwas nicht will, wird er es auch nicht tun.
Was du willst, das tust du
Beobachtungen aus dem Alltag bestätigen das. Urlaubswünsche beispielsweise: Egal ob Dubai, Singapur oder der amerikanische Westen – nichts ist zu weit weg, zu umständlich zu erreichen oder zu teuer, als dass die Menschen dort nicht hinreisen würden. Oder Konsumwünsche: Vor dem release eines neuen I-Phones bilden sich vor den Apple-Stores lange Schlangen. Die Leute machen sich in aller Frühe auf und stehen stunden-, manchmal tagelang an, einschließlich Übernachten im Freien. Warum? Einzig weil sie es wollen. Weil ihnen die Erfüllung eines Wunsches wichtiger ist als etwa Bequemlichkeit oder Nachtruhe.
Noch eine Beobachtung: Im Zuge der „Flüchtlingskrise“ 2015 und den Folgejahren füllten sich deutsche Straßen und Plätze sicht- und hörbar mit Emigranten aus dem Nahen und Mittleren Osten. Ins Auge fiel dabei die große Zahl der Kinderwagen und jungen Mütter. Welchen Lebenswillen, welche Energie zeigten die überwiegend jungen Leute, die Ja zu Nachwuchs sagten, ungeachtet dessen, dass sie gerade ihre Heimat verlassen, ins Ungewisse aufgebrochen waren und sich in fremder Umgebung mit fremder Sprache und Kultur zurechtfinden mussten.
Ganz offenbar standen Argumente wie „Ich muss erst meine Ausbildung machen“, „Die Zukunft ist für ein Kind zu ungewiss“, „Später, wenn wir uns etabliert haben“ und dergleichen dem Kinderbekommen nicht im Wege.
Der Schluss liegt nahe, dass der deutsche Kindermangel nicht so sehr im Finanziellen und Materiellen gründet als vielmehr im schlichten Nicht-Wollen. Individualismus, Egoismus und die platte Gegenwartsbezogenheit unserer Gesellschaft wirken sich hier aus. Wir lassen uns Angst vor abstrakten Bedrohungen einreden (Kohlendioxidausstoß, Weltklima), blenden aber konkrete Konsequenzen wie die Einsamkeit im Alter und den Abbruch der eigenen Familiengeschichte aus.
Lieber frei und unabhängig sein
Die Bürger der Industriestaaten wollen einfach nicht mehr so viele Kinder bekommen wie früher. Heute gibt es eine Vielfalt an möglichen Lebensentwürfen, die Wahl des Standes liegt längst nicht mehr zwischen Ehestand und Priesterweihe. Materieller Wohlstand sowie unzählige Möglichkeiten der Selbstentfaltung von Frauen sind heute normal und selbstverständlich. Männern wie Frauen steht es offen, unverheiratet zu bleiben, sich ganz auf das berufliche Fortkommen zu konzentrieren, flexibel und mobil zu bleiben und in Beziehungen mit dem anderen Geschlecht oder sogar in der Ehe das Kinderbekommen fortdauernd zu unterbinden.
Unter den vielen Gründen, sich gegen Kinder zu entscheiden, liegen drei mit Abstand vorn, wie eine repräsentative Erhebung der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen von 2014 ergab. An erster Stelle (für 62 Prozent der Befragten) stand dabei der Wunsch, lieber frei und unabhängig zu sein. Fast ebenso viele (61 Prozent) nannten finanzielle Gründe: Kinder kosten (zu viel) Geld. Hinter dem Argument steht auch der Unwille, des Nachwuchses wegen Abstriche am eigenen Lebensstandard zu machen. Dass die Karriere wichtiger sei, gaben 59 Prozent der Befragten an.
Beinahe ein Viertel der in Deutschland geborenen Frauen aus den Geburtsjahrgängen 1969 – 1973 (23,9 Prozent) war kinderlos, geht aus dem Mikrozensus von 2018 hervor. Damit war die Kinderlosenquote der Frauen im Alter zwischen 45 und 49 Jahren mehr als doppelt so hoch wie zu Beginn der achtziger Jahre.
„Kinder kriegen die Leute immer“
Wenn Konrad Adenauer 1956 in den Debatten zur Rentenreform – der Kanzler setzte sich für eine dynamisierte Rente im Umlageverfahren ohne Kapitaldeckung ein, was eine konstant wachsende Bevölkerungszahl voraussetzte – vorbrachte: „Kinder kriegen die Leute immer“ und ihm (oft kinderlose) Nachgeborene den Irrtum vorwerfen, so drückte er nur eine menschheitliche Selbstverständlichkeit aus. Der damals 80 Jahre alte Kanzler hatte acht Kinder gezeugt.
Der Erfahrungshorizont seines langen Lebens voll Kriegen und Krisen war der, dass Mann und Frau miteinander die Ehe eingehen und eine Familie gründen. Dass ein Umstand eintreten könnte, den es in Europa noch niemals zuvor gegeben hatte: dass zu Friedenszeiten die Bevölkerung schrumpft, und zwar nicht aus äußerer Not, sondern als Summe der Willensentscheidungen der Einzelnen, lag außerhalb seiner Vorstellung.
Dieses entschiedene und anhaltende Nein zu Kindern wird erst ermöglicht durch flächendeckend verfügbare künstliche Empfängnisverhütung, in erster Linie der Anti-Baby-Pille – in der verblichenen DDR zur „Wunschkindpille“ umgedeutet –, die neben der Abtreibung die Hauptursache für den Kindermangel darstellt.
Sarrazin erwähnt Abtreibung mit keinem Wort
Der Zusammenhang zwischen dem tödlichen Abtreibungsgeschehen in Deutschland und dem demographischen Niedergang wird außerhalb christlicher Kreise nicht benannt, nicht diskutiert und folglich von der Politik nicht aufgegriffen. Dass ein Sozialdemokrat wie Thilo Sarrazin in seinem breit wahrgenommenen Mega-Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ die massenhafte vorgeburtliche Kindstötung mit keinem Wort erwähnt – weder Abtreibung noch Schwangerschaftsabbruch tauchen im Sachregister auf –, zeigt aber auch, dass wir mit technokratischen Ansätzen nicht weiterkommen.
So ist es essenziell, dass unsere Gesellschaft den demographischen Niedergang erst einmal überhaupt als Problem anerkennt. „Der Nachwuchsmangel muss zunächst als öffentliches Risiko wahrgenommen werden, bevor ernsthafte – und zum Teil schmerzhafte – Gegenmaßnahmen eine Chance bekommen“, schrieb vor Jahren bereits der Schweizer katholische Soziologe Franz-Xaver Kaufmann.
Eine Familie und Kinder zu haben scheint – kurzfristig gedacht – nicht mehr nötig, denn Leistungen und Unterstützungen in Not, bei Krankheit und Alter kommen ja „aus den Sozialkassen“ wie der Strom aus der Steckdose. Der bundesdeutsche Sozialstaat hat die Familie schlichtweg ihrer Funktion beraubt.
Zusammenhänge, die der Sozialstaat verschleiert
Zum Beispiel verschleiert die staatliche Rentenversicherung den Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und Altersarmut, weil das Problem sozialisiert wird – ganz anders in archaischen Gesellschaften mit engen Familienbanden, wo dieser Zusammenhang noch offenkundig ist.
Waren früher Ehe und Familie nicht nur Lebensgemeinschaft, sondern zumeist auch Produktions- und Wirtschaftsgemeinschaft, so sind heute Beziehungen, Ehe und Familie weithin zu einer Sache des bloßen Gefühls geworden; sie stellen keine Notwendigkeit mehr, ohne die man im Leben arm dran wäre.
Allzu oft ist es sogar umgekehrt: Mit der Eheschließung geht in den feministisch umgestalteten westlichen wie östlichen Gesellschaften gerade für den Mann ein enormes Risiko einher. Nach einer Scheidung oder Trennung der Eltern wachsen laut Statistischem Bundesamt neun von zehn Kindern bei der Mutter auf.
Der entsorgte Vater
Nach Trennung/Scheidung kann die Frau, wenn sie es drauf anlegt, dem ehemaligen Familienvater den Kontakt mit den Kindern verwehren; der Mann muss als Verdiener den Unterhalt für die Kinder bezahlen, die nun nicht mehr bei ihm leben und die er oft genug nicht einmal mehr treffen darf und die er nicht aufwachsen sieht; bei Nicht-Erwerbstätigkeit seiner ehemaligen Frau muss er auch den Ehegattenunterhalt hinstrecken.
Oft verliert er Wohnung oder Haus; der Wohlstand ist perdu, Vermögensaufbau nicht möglich. Kurz, die Autorität des Mannes und Vaters ist dahin, er hat sie an die Frau verloren, und der Feminismus hat einen Keil zwischen die Geschlechter geschlagen.
So geben immerhin 23 Prozent der Befragten in der oben zitierten Erhebung die „Angst vor Scheidung und Alleinerziehung“ als Grund an, keine Kinder haben zu wollen. Bestseller wie „Das entehrte Geschlecht“, „Was vom Manne übrig blieb“ oder der Dokumentarfilm eines „Entsorgten Vaters“ machen die Stellung des Mannes deutlich. „Verunsicherte Männer sind zögerlich, eine Partnerschaft einzugehen“, konstatiert der Autor, Soziologe und Männerforscher Walter Hollstein.
„Man kann nicht nur auf Probe lieben“
Wie kann eine kinderfreundliche Kultur, wie kann Zukunftszuversicht wiedererweckt werden? Wie aus Mal-sehen-wie’s-wird-Beziehungen richtige Familien werden und Kinder ins Leben gelassen werden?
Eines kann man mit keinem Geld der Welt kaufen: Liebe. Das Ja zum Leben, die Bejahung der eigenen Existenz und so auch die Bejahung eines Partners mit allem, was folgt, können Bevölkerungsprogramme des Staates nicht erzeugen. Hier kommt die große Aufgabe der Erziehung und Selbsterziehung zum Tragen, reformierte Schulen, die Bildung und nicht nur Ausbildung vermitteln, sowie ganz wesentlich eine wieder verkündigungsfrohe Kirche, die nicht peinlich, sondern selbstbewusst ist, wenn sie aus der Fülle der lebensbejahenden Tradition schöpft.
Etwas unmittelbar Einsichtiges sprach Johannes Paul II. ja bei seinem ersten Deutschlandbesuch 1980 an: „Man kann nicht nur auf Probe leben, man kann nicht nur auf Probe sterben.“ Genial dann seine denkerisch logische Folgerung: „Man kann nicht nur auf Probe lieben, nur auf Probe und Zeit einen Menschen annehmen.“ Das ist Verheutigung des Evangeliums, das ist die message eines großen Paartherapeuten und Familienseelsorgers, das sind die Worte einer Kirche, der es darum zu tun ist, dass das Leben des Menschen gelingt.
Zu wissen, dass du gewollt bist
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jes. 43,1) Eine authentische kirchliche Verkündigung hin zum Leben und zum Gewollt-Sein durch Gott – das ist etwas ganz anderes als nihilistischen Angstvisionen (Klima) quasi-religiöse Weihen zu geben. Diese laufen im letzten darauf hinaus, dass es besser wäre, wir wären nicht da, denn wer nicht existiert, erzeugt kein CO2.
„Die Verfinsterung des Sinnes für Gott und den Menschen führt unvermeidlich zum praktischen Materialismus, in dem der Individualismus, der Utilitarismus und der Hedonismus gedeihen.“ So steht es hellsichtig in der 1995er Enzyklika „Evangelium vitae“ Johannes Pauls II. über „den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“. Von dieser Verfinsterung ist die Kirche inzwischen genauso befallen wie die säkulare Welt, Gott sei’s geklagt.
Ohne eine innere Umkehr der vielen Einzelnen wird sich nichts zum Besseren wenden!
Erinnern wir uns an die Eingangsthese: Was der Mensch will, das wird er tun! Oder in den Worten des mutigen Berliner Bekenner-Pfarrers Bernhard Lichtenberg: „Die Taten eines Menschen sind die Konsequenzen seiner Grundsätze. Sind die Grundsätze falsch, werden die Taten nicht richtig sein.“
Mach’s doch einfach!
Ohne eine alleingültige Patentlösung bieten zu können, gilt doch, dass keine Umkehr ohne Einkehr geschehen wird. Die Arbeit an der eigenen Seele, das Überdenken der eigenen Triebkräfte und Lebensziele kann die säkulare Regierung den Menschen nicht abnehmen.
Ein positives Beispiel leben entschieden christliche Familien, die zu glaubenstreuen Gemeinden beiderlei Konfessionen gehören. Sie sind kinderreich ohne Rücksicht auf materielle Belange. Die Motivation, den Lebensentwurf „Familie“ zu bejahen, die Kinder einfach kommen zu lassen und sich ohne Netz und doppelten Boden dem prallen Leben auszusetzen, ist stärker als kleinliche Rechnerei wegen Urlaub, Wohnung oder „Selbstverwirklichung“. Gott schenkt zum Wollen auch das Vollbringen. Nicht Bauchnabelschau, sondern Leben und Sorgen für andere machen froh!
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