Wie die Jugend von den Kommunisten vereinnahmt wurde
Am 30. August 1945 hält Werner Ihmels, der sich in der christlichen Jugendarbeit engagiert, fest, dass die Arbeit in den Antifaschistischen Jugendausschüssen begonnen habe. Da die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) den Parteien eigene Jugendorganisationen verboten hat, dafür aber die Bildung einer überparteilichen Organisation als Vertreterin der Belange der Jugend fördert, bleibt Werner Ihmels nur übrig, in den Jugendausschüssen mitzuarbeiten, wenn er Jugendarbeit leisten will. Er macht sich keine Illusionen darüber, dass die „Überparteilichkeit“ von den Kommunisten nicht ernst gemeint ist und es nur um die blanke Macht geht, darum, zu verhindern, dass starke bürgerliche Jugendorganisationen und Bünde entstehen, die tief in die Tradition kirchlicher Jugendarbeit zurückreichen.
Gerade die Bekennende Kirche in Sachsen hatte während der nationalsozialistischen Diktatur gute Erfahrungen damit gemacht, die Jugendarbeit weit in das Innere der Kirche zu verlegen, in Bibellesekreise, in denen christliche und antifaschistische Bildungsarbeit erfolgen konnte und wo sie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten gesichert wurde. Werner Ihmels, Enkel des früheren Bischofs der sächsischen lutherischen Kirche, der in Leipzig im Bibelkreis gegen die nationalsozialistische Weltanschauung opponiert hatte, unterschätzt die kommunistische Strategie nicht, unter dem Deckmantel der Überparteilichkeit Parteiarbeit zu betreiben. Doch will er den Kommunisten die Jugendausschüsse nicht kampflos überlassen, zumal sie die einzige legale Möglichkeit für die Jugend bieten, politisch tätig zu werden.
Kommunistisches Narrativ: Eltern tragen Schuld am Nationalsozialismus
Sowohl die Sowjets als auch die deutschen Kommunisten legen auf „die Jugend“ großen Wert. Sie steht für das zu errichtende Neue. Natürlich ist „die Jugend“, wie immer, wenn sie propagandistisch oder medial in den Mittelpunkt gestellt wird, eine Projektion. Der kleine Teil der Heranwachsenden, der für die eigenen ideologischen Belange instrumentalisierbar ist, wird zur Jugend schlechthin erklärt. Die Argumentation der Kommunisten zielt darauf, dass die Eltern die Katastrophe des Nationalsozialismus zu verantworten hätten, sie folglich die Schuld am Zusammenbruch Deutschlands trügen und es deshalb nun auf die Jugend ankäme, die es besser, die es anders machen werde.
Dass für das Neue zu sein, nach ihrer Auffassung nur bedeuten kann, für den Kommunismus zu kämpfen, verschweigen sie – noch. Allgemeine sozialistische Gedanken sind in diesen Jahren bis in die CDU hinein en vogue.
So entschließt sich Werner Ihmels, die einzige Chance, die sich ihm und anderen engagierten jungen Menschen bietet, zu nutzen: „Antifaschist bin ich in des Wortes eigentlicher Prägung. Mehr nicht. Die Demokratie halte ich, bei richtiger Durchführung, für die vernünftigste Regierungsform. Doch mit all dem Gefasel vom Kommunismus und Weltverbrüderung möchte ich nichts zu tun haben. Ich bin im Ausschuss als Christ mit politischer Verantwortung, weil ich mein Volk und mein Vaterland, an dem man oft verzweifeln könnte, trotz allem liebe!
Ich bin überzeugt, dass nur noch Umkehr, innere Umkehr unser Volk retten kann. Nichts sonst. Da nützen keine Beschlüsse, Parteien, Programme, Erziehungsmaßnahmen: Ein Volk ohne Gott ist tot [...] Den Alten ist es oft genug gesagt, die wollen nicht mehr. Die Jugend ist aufgewachsen, ohne von Christus zu hören. Sie muss sich jetzt entscheiden. Gott gebe, dass sie sich recht entscheide.“
Am 6. März 1946 genehmigt die SMAD die Gründung der FDJ, am 7. März wird die Einheitsjugendorganisation gegründet. Anfangs hatte Werner Ihmels wie viele andere auch in den Antifaschistischen Jugendausschüssen und etwas später in der FDJ mitgearbeitet, um für eine Pluralität in der Einheitsorganisation der Jugend zu kämpfen. Am Ende sah er ein, dass der Kampf verloren war, und riet den jungen Christen, mit denen er Umgang pflegte, aus der FDJ auszutreten.
Bei dem Text handelt es sich – mit freundlicher Genehmigung des Herder-Verlags – um einen Auszug aus dem am 12. Juni 2023 erschienenen Buch von Klaus-Rüdiger Mai „Der kurze Sommer der Freiheit“. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2023, 305 Seiten, gebundene Ausgabe 22,70 Euro
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