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Kolumne „Der Philosoph“

Vom Sinn und Unsinn guter Vorsätze

Der Jahreswechsel ist die Zeit der guten Vorsätze. Der kalendarische Neuanfang scheint die perfekte Gelegenheit zu sein, um endlich diejenigen Weichenstellungen im eigenen Leben vorzunehmen, die man sich schon so lange wünscht: „Das Gängelband der (schlechten) Gewohnheit und der Stress des Alltags hielten mich im alten Jahr davon ab, mich zu ändern, aber jetzt, da das Jahr neu beginnt, kann auch ich mich endlich selbst neu erfinden und der werden, der ich eigentlich sein will.“

So oder so ähnlich klingt der Selbstbetrug der guten Vorsätze, an deren Verwirklichung wir uns dann entweder gar nicht ernsthaft versuchen oder aber bereits nach kürzester Zeit jämmerlich scheitern.

Meist sind die Dinge, die wir uns „vornehmen“, jedoch ohnehin nur hohle Ideale der Selbstoptimierung: Gesünder essen, mit dem Rauchen aufhören, abnehmen, mehr Sport treiben und so weiter. Gesundheit und Fitness beispielsweise sind zwar durchaus Güter, aber eben letztlich nichts, was wir um seiner selbst willen begehren. Wie viele gesunde, fitte Nichtraucher leben schließlich im Tränental einer freud- und sinnlosen Existenz, aus denen sie kein guter Jahresvorsatz jemals befreien wird!

Aus eigener Kraft können wir es nicht

Schlimmer noch als die Wünsche nach einem optimierten Ich sind unaufrichtige, pseudomoralische Vorsätze („Nächstes Jahr will ich mehr fürs Klima tun!“), mit denen man sich selbst und anderen in erster Linie versichern will, wie gut, wie rein, wie menschenfreundlich man doch ist.

In beiden Fällen handelt es sich im Grunde um bloßes Gerede und Geraune eines seelenlosen Kollektivs, das Martin Heidegger treffend das „Man“ nannte. Wo aber nur das Man tönt, da kann es gar keine authentischen Vorsätze geben. Denn jede echte Änderung unserer Lebensweise muss sich in unserem Innersten ereignen, über das wir nur je einzeln als Individuen, nicht aber als Teil eines anonym-amorphen Man verfügen.

Allerdings sollten wir uns gerade mit Blick auf die Möglichkeit authentischer Vorsätze vor Selbstermächtigungsphantasien hüten, wie sie für die Moderne charakteristisch sind. Diesen zufolge wissen wir nicht nur, was wir uns vornehmen wollen und sollen, sondern können es – wenn wir uns nur genug anstrengen – auch aus eigener Kraft bewirken. Von wegen! Die Erfahrung beweist uns immer wieder aufs Neue das Gegenteil.

Überhaupt erst einmal erkennen, wie dringend nötig Umkehr ist

Um die eherne Kruste der Gewohnheit aufzubrechen, bedarf es vielmehr der Einwirkung von außen; eine höhere Macht – eine wie auch immer geartete Verkörperung des Guten, Wahren und Schönen – muss uns zuallererst aus unserem somnambulen Trott wachrütteln, damit wir überhaupt erkennen, wie dringend nötig es ist, unserem Leben eine neue Richtung zu geben.

Von einer solch göttlichen Erweckung handelt auch Rainer Maria Rilkes Gedicht „Archaïscher Torso Apollos“. Ein kraftvolles Geheimnis, eine geheimnisvolle Kraft, wohnt in jenem kopflosen Torso des Gottes Apoll. Pralles, mächtiges Leben durchwaltet diese fragmentarische Gestalt. Daher sieht die lyrische Instanz auch keinen ramponierten, toten Stein, sondern erlebt sich selbst als jemanden, der von einem Gott gesehen, ja von ihm bis in die letzten Winkel seines Daseins hinein durchschaut wird: „denn da ist keine Stelle, / die dich nicht sieht.“

So vor das Göttliche gestellt, kann keiner von uns in dem Zustand, in dem er sich befindet, bestehen. Geradezu zwangsläufig wird der, dem es so ergeht, den Ruf vernehmen: „Du musst dein Leben ändern.“

Vorsatz: Offen sein für einen möglichen Ruf des Transzendenten

Es ist die Begegnung mit dem Transzendenten, die uns auf uns zurückwirft und uns dadurch überhaupt erst in die Lage versetzt, einen authentischen, das heißt: je eigenen, nicht dem Man entlehnten Vorsatz für unser Leben zu fassen. Dabei kommt es, wie schon erwähnt, weniger auf eine eigene Aktivität an als auf die richtige Art von Passivität: auf das Sich-Bestimmen-Lassen durch Dinge, die uns übersteigen.

Ein kluger Vorsatz höherer Stufe für das kommende Jahr könnte daher lauten, sich offen zu zeigen für eine mögliche Ansprache, einen potentiellen Ruf des Transzendenten und Göttlichen, das allein uns aus den Fesseln des Banalen und Alltäglichen zu befreien vermag.

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