„So kann man heute nicht mehr bauen!“ – Doch!
So kann man heute einfach nicht mehr bauen! – Mit diesem Glaubenssatz antwortete mir einst ein Kommilitone auf meine naive Frage, warum man nicht mehr schöne Gebäude wie früher bauen könne, sei es traditionelles Fachwerk oder Häuser im Gründerzeitstil. Ich dachte zunächst, er müsse es wissen, denn im Gegensatz zu mir studierte er Architektur. Gemessen an den modernistischen Klötzen, die ständig um uns herum entstehen, schien seine Meinung zumindest die Einstellung vieler seiner Berufsgenossen einzufangen.
Jedoch ist mir nie klar geworden, was er eigentlich mit diesem „Nicht mehr Können“ meinte. Offenbar gibt es keine prinzipiellen technischen, baukundlichen oder finanziellen Hürden, die verhindern würden, so zu bauen wie früher. Mit den Milliarden, die von der öffentlichen Hand regelmäßig in unansehnliche Großbauprojekte versenkt werden (als Stuttgarter weiß ich, wovon ich spreche), könnte man sicher unzählige der ebenso tristen wie hässlichen Gebilde, die unsere Straßen entstellen, durch schönere Bauten in traditioneller Formensprache ersetzen.
Die Bestimmtheit, mit der mein Studienfreund die Unmöglichkeit einer architektonischen Rückkehr zur alten Schönheit europäischer Städte verneint hatte, schien auch eher auf eine metaphysische, statt auf eine bloß empirische Impossibilität abzuzielen. Nur: Eine solche wollte und will mir bis heute nicht einleuchten.
Die These ist von der Wirklichkeit längst widerlegt
Die Zeit selbst lässt sich freilich nicht zurückdrehen. Wie aber C. S. Lewis einmal bemerkte, wird niemand, der bei Sinnen ist, daran zweifeln, dass eine Uhr, die falsch läuft, nachjustiert gehört. Die Gebäude, in denen wir wohnen und arbeiten, sind nun aber wie Uhren menschengemachte Artefakte und können daher sehr wohl nach dem Vorbild früherer Tage errichtet werden. Die Schönheit von einst kann wiedergewonnen werden.
Die Wirklichkeit hat inzwischen ohnehin die These meines Architektenfreundes schallend widerlegt. Um das zu sehen, muss man nur einmal nach Budapest reisen. Seit einigen Jahren nun verfolgt die ungarische Regierung ein Programm zum Wiederaufbau der historischen Architektur der Donaumetropole. Am sichtbarsten vollzieht sich die wundersame Auferstehung der Schönheit derzeit im Budaer Burgviertel, wo im Rahmen des Nationalen Hauszmann-Programms ein herrliches Gebäude nach dem anderen in neuem Glanz erstrahlt.
Dabei geht es nicht nur um Renovierungen: Die prächtige Königliche Reithalle – im Zweiten Weltkrieg beschädigt und dann unter der kommunistischen Fremdherrschaft aus politischen Gründen abgerissen – wurde inzwischen gemäß den Originalplänen von Alajos Hauszmann vollständig neu gebaut.
Strukturlose Fassaden und charakterlose Klötze will keiner
Am Beispiel Ungarns zeigt sich, dass es letztlich keine Frage des Könnens, sondern des Willens ist, wie eine Gesellschaft baut. Ein erwartbarer Einwand lautet, dass eine solche Rückkehr zur Tradition nur Ausdruck eines antidemokratischen Dünkels sei. Das genaue Gegenteil ist jedoch der Fall. Denn an der Schönheit eines Gebäudes haben – zumindest von außen – alle Anteil und nicht nur die, die darin wohnen oder arbeiten. Das „Wir“, das eine Abkehr vom baulichen Modernismus für unmöglich hält, ist im Grunde nur eine sehr kleine Kaste an Architekten. Die Mehrheit der Menschen sehnt sich dagegen nach „klassischer“ Schönheit im weitesten Sinne.
Auf interessante Weise hat dies jüngst eine Studie der TU Chemnitz bestätigt, die nicht etwa von Kunsthistorikern, sondern von einem Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre und einer Studentin durchgeführt wurde. Denn gefragt wurde hier nicht nach abstrakten ästhetischen Idealen, sondern ganz konkret nach der Bereitschaft, in ein Gebäude einzuziehen sowie nach der Miete, die die Probanden bereit wären aufzubringen.
Das Ergebnis: Eine Abneigung gegen die Annehmlichkeiten modernen Wohnens gibt es nicht, dafür aber gegen typische Elemente modernistischer Architektur: Strukturlose Fassaden und charakterlose Klotzbauten schnitten besonders schlecht ab. Bei Straßenzügen wird – auch das keine Überraschung – zudem Wert auf Homogenität gelegt.
Das Hässliche ist unterdrückerisch. Es bedrückt und verdunkelt das Gemüt. Schönheit hingegen wirkt befreiend, auch indem sie den Menschen empfänglich macht für die beiden Geschwister des Schönen: das Wahre und das Gute. Wo die Verantwortlichen die Rückkehr zu Tradition und Schönheit verweigern, sind die Bürger gefragt. Dass sie etwas bewirken können, zeigt die Erfolgsgeschichte der Graswurzelbewegung „Architectural Uprising“, die vor rund zehn Jahren in Schweden entstanden ist und sich inzwischen auf ganz Europa ausgebreitet hat. Alle Freunde des Schönen, Wahren und Guten können nur hoffen, dass immer mehr Menschen begreifen, dass es sich lohnt, für eine Architektur jenseits modernistischer Kästen zu kämpfen.
Das Ulmer Stadthaus direkt neben dem Münster und die Bibliotheks-Pyramide daselbst werden als architektonische Meisterleistungen gefeiert, illustrieren aber exakt die beschriebenen Fehlentwicklungen.
Das Ulmer Stadthaus direkt neben dem Münster und die Bibliotheks-Pyramide daselbst werden als architektonische Meisterleistungen gefeiert, illustrieren aber exakt die beschriebenen Fehlentwicklungen.