Adventseinbruch
Vor fünf Jahren wurde bei mir im Pfarrhaus eingebrochen, näherhin in den Büroräumen. Es geschah in der Nacht zum ersten Advent. Außer einem eingeschlagenen Fenster war nichts weiter zu beklagen, außer dass die Einbrecher alles durchwühlt hatten. Nach sorgsamer Prüfung fehlte nichts.
Der Grund, dass nichts gestohlen wurde, lag möglicherweise darin, dass nichts Interessantes für Einbrecher dort zu finden war. Es gibt dort nur eine Menge Papier, Bücher, Akten. Und: Die Einbrecher haben das Ganze in einer – sagen wir – recht individuellen Ordnung vorgefunden, so dass sie – möglicherweise - gedacht haben: „Mhmm, da waren schon welche vor uns da ...“
Und so war es auch vor einem Jahr. Wieder gab es einen nächtlichen Einbruch bei mir, und wieder war am Ende nichts weg. Unordnung hat also zumindest diesen einen positiven Aspekt: er ist ein wirksamer Schutz gegen Diebe! Dennoch – das musste ich beim zweiten Einbruch lernen: Es gilt die Arglosigkeit falscher Sicherheiten zu verlassen und in einer gewissen Grunderwartung zu sein, was die Frage des plötzlichen Eindringens in das häusliche Leben betrifft.
Aufrütteln zum Advent
Der von mir tatsächlich nicht erwartete Einbruch zu Beginn des Advents hatte allerdings auch einen positiven Nebeneffekt. Er rüttelte mich auf und erneuerte – allein wegen der Datumswahl meiner unerwarteten Gäste – mein Verständnis für den Advent. Allgemein ist ja bekannt, woher der Begriff für die Zeit vor Weihnachten stammt. Zahllose Verweise gibt es dazu im Internet. So wie die Seite kindersein.de:
„Das Wort ‘Advent’ leitet sich vom lateinischen ‘Adventus’ ab und heißt ‘Ankunft’. Für die Christen ist der Advent die Zeit der Erwartung, die Vorbereitungszeit auf die Ankunft Christi, dessen ‘Geburtstag’ in der Weihnachtsnacht gefeiert wird.“
Und dann folgen auf diesen notwendigen, aber auch nicht länger als nötig erklärten Bezug zum christlichen Ursprung des Advents eine Reihe von Ideen, wie diese Zeit gestaltet werden kann. Auch für die vielen, die sich trotz ihrer inneren Distanz zum Glauben an das, was Christen an Weihnachten feiern, den Advent nicht nehmen lassen wollen:
„Mit gemütlichen Decken und Kissen im Spielzelt kuscheln, Plätzchen backen, Spaziergang mit anschließendem warmem Kakao trinken, Weihnachtsdekoration selbst basteln und auf der Kommode aufstellen, Weihnachtskarten schreiben und verschicken, einen Spielgefährten fürs Leben erschaffen und ein Plüschtier selber machen, Weihnachtslieder singen, jeden Abend eine kleine Weihnachtsgeschichte hören, über ein Bluetooth-Nachtlicht auf dem Nachttisch Weihnachtsfilme anschauen oder Adventskalender basteln.“
So soll er sein, der Advent: lichtvoll, lecker, besinnlich, gemütlich, schön und festlich, heimelig, klassisch, duftend, dekorativ.
Was der Advent eigentlich nicht sein will
Aber – und das wurde mir spätestens durch die Fügung eines unerwarteten Einbruchs am ersten Advent 2018 erneut klar – all dies will der Advent eigentlich überhaupt nicht sein! Wenn man ihn mit den Augen der katholischen Liturgie betrachtet, ist er weit entfernt davon, eine Zeit der Ablenkung und des Angefülltseins mit Freizeit- und Gemütlichkeitsinszenierungen zu sein. Er will vielmehr eine Zeit der Vorbereitung, der Vorkehrungen und der Erwartung sein.
Und Erwartungen sind nie phlegmatisch-tatenlos-gemütlich. Kinder hüpfen von einem Bein auf das andere, wenn sie etwas oder jemanden erwarten, Liebende schauen auf die Uhr, wenn sie ihren Partner vermissen, und Menschen im Stau spüren in sich den Blutdruck steigen, wenn ihre Erwartung nicht erfüllt ist, pünktlich am Ziel ihrer Fahrt anzukommen. Erwartung ist nicht Ruhe, sondern Unruhe!
Der Advent ist nichts anderes. Er ist – wenn man mal von der allgemeinen Übereinkunft der Innenausstatter und der Kulinaria-Anbieter absieht – die Zeit der Sehnsucht, nicht der Zufriedenheit, der Erwartung und nicht der Sattheit.
Genau davon spricht das Evangelium der Liturgie vom ersten Advent in diesem Jahr. Alles dreht sich dort um die Vorbereitung der Wiederkunft des Menschensohnes Jesus Christus. Und alles ist darauf ausgerichtet, die Menschen zu mahnen, nicht schläfrig zu sein, sondern wachsam, bereit, vorbereitet.
„In jenen Tagen, nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ (Mt 13, 24-26) Gebt acht und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. [...] Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen.“ (Mt, 13,33; 36)
Sehnsucht, Verlangen, Unruhe
Die Haltung, die die Bibel empfiehlt, ist nicht die der Zufriedenheit im Schaukelstuhl, sondern die der Sehnsucht, des Verlangens, der Unruhe, die einen erfüllt, wenn man noch nicht an einem ersehnten Ziel ist. Dieses Ziel ist nach dem Glauben der Christen der Himmel, das Leben bei Gott, die Ankunft dort, wo es dann keine Sehnsucht, keine Unsicherheit und keine Erwartung mehr gibt, weil dort – aber auch nur dort – das unzerstörbare Glück ist.
Der Advent will einen einstellen auf das, was kommt und zeigen, dass wir es noch nicht haben und dass vieles von dem, was wir haben, uns genau davon ablenkt, das zu ersehnen, was von Gott kommt und dass es deswegen unsere Erfüllung ist, weil es – im Gegensatz zu allem anderen – nicht vergeht.
Darum rät die christliche Tradition dazu, aus der „Vorweihnachtszeit“ mit ihrem Silent Nightfever, ihren warmlichternden Santa-Paraden und Rudolphiaden wieder einen „Advent“ zu machen, Tage der Sehnsucht, eine Zeit, in der sich das Verlangen nach Wahrheit, nach Liebe und am Ende auch nach Gott erneuern muss. Immer auf der Hintergrundfolie, dass das, was wir machen und erwerben, ein Ende haben wird, früher oder später.
Um diese Sehnsucht aufs Neue in uns groß und stark werden zu lassen, braucht es in der Tat die Stille und die Betrachtung, eine Zeit des Abstandnehmens von der täglichen Geschäftigkeit, die uns immer wieder die Perspektive auf das Unvergängliche zerstört. Kein Dösen in Glühweinseligkeit, sondern die Konzentration auf die Wahrheit Gottes, die man nur hören kann, wenn man schweigt.
Meine Tipps
Deswegen meine Tipps zur Gestaltung des Advents: Einfach einmal in den Tagen des Advents eine Kirche außerhalb des Gottesdienstes besuchen. Beim Einkaufen finden sich in unseren Städten noch genügend Gotteshäuser, die man bequem zwischen die Weihnachtseinkäufe schon zu Hause auf die To-do-Liste stellen kann.
Oder einmal ganz schlicht mitten in der Woche an einer hl. Messe teilnehmen. Die Adventsliturgie ist voller Anregungen, Gott, der den Advent erfunden hat, neu in den Mittelpunkt zu stellen. Die Texte der Liturgie sprechen von der Erlösung der Menschen und von Gottes Liebe und auch von dem, was wir ohne Gott verlieren, wenn wir nicht aufpassen.
Oder man greift in einer Kirche mal in die Kiste mit den Gesangbüchern und meditiert den Text eines Adventsliedes. Dichter vieler Jahrhunderte haben die Sehnsucht nach der Erlösung in wunderbare Worte gegossen, die helfen können, das Unvergängliche wieder mehr zu lieben als das Vergängliche.
Es gibt hier und da – Google hilft einem beim Suchen – in katholischen Kirchen die sogenannten Roratemessen bei Kerzenlicht: Messfeiern zu Ehren der wichtigsten Frau der Weltgeschichte, Maria, die den Gottessohn empfangen und geboren hat. In der Konzentration der Dunkelheit, die von lebendigen Kerzenflammen erwärmt und durchdrungen wird, spricht Gott von seiner Nähe und lässt die Sehnsucht nach Ihm stärker werden, als das in der Geschäftigkeit des Vorweihnachtsstresses und im Gewusel der Adventsmärkte gelingen kann.
Triff Vorbereitungen! Es ist nur klug!
Wobei nichts gegen Adventsmärkte gesagt ist. Dafür bin ich zu sehr Katholik, um nicht zu wissen, dass nicht das bedingungslose Entweder-oder, sondern das zutiefst katholische et-et, das Sowohl-als-auch, das Maß sein kann, um die Essenz der Adventszeit in der beschwingten Heiterkeit eines gläubigen Herzens mit einem Glühwein zu feiern, statt sie darin zu ersäufen.
Auf diese Weise kann der Advent eine fruchtbare Zeit sein. Eine Zeit, in der einem neu zu Bewusstsein kommt, dass es klug ist, Vorkehrungen zu treffen für den Tag, an dem Gott einbricht. Nicht um etwas zu stehlen, sondern – im Gegenteil – um alle zu beschenken, die dann wach geblieben sein werden, um auf Ihn zu warten und die sich ihre Sehnsucht nicht von der Sattheit eines Lebens ohne Erwartung auf so tückische Weise hatten nehmen lassen.
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... neben den „Hymnen an die Kirche“ der Gertrud von Le Fort empfehlen sich auch ihre „Hymnen an Deutschland“ (zwecks „Wach-Werdung“ und nicht „Einschlafen“) ...
Gesegneten Advent!
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Gesegneten Advent!